Wenn die Verunsicherung zuschlägt |
Tobias Ginsburg hat sich unter radikalisierten Männern umgeschaut; geschlechterreflektierte Jungen- und Männerarbeit will diese nicht aufgeben, sondern zurückholen.
von Thomas Neumeyer
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«Zugehörigkeit, ein Ziel, das Eigene. Heutzutage hat man nur so eine krasse Leere, die einen verschlingt, weil man komplett entwurzelt ist. Man fragt sich: Wofür das alles?» Das ist die Antwort von einem rechtsradikalen deutschen Rapper auf die Frage, was Männer und Jungen heute suchen. Identität also. Es ist einer der seltenen Momente, in denen es Tobias Ginsburg gelingt, einen Blick zu erhaschen auf das, was hinter dem Panzer aus Mackertum, Schwulenfeindlichkeit und zelebrierter Frauenverachtung steckt. Für sein Buch «Die letzten Männer des Westens» hat sich der Autor ein ganzes Jahr lang unter falschem Namen mit Millimeterschnitt und Bomberjacke in verschiedenen Ecken der antifeministischen Szene bewegt. Er nahm an Kongressen von Männerrechtlern teil, meldete sich bei einem zwielichtigen Flirtcoach an, besuchte Konzerte hypermaskuliner Rapper und traf den Vizepräsidenten eines christlich-fundamentalistischen Thinktanks.
Zu seinem Erstaunen begegnete Ginsburg immer wieder demselben Narrativ: Die Gesellschaft sei krank, die heutigen Männer verweichlicht. Der Feminismus und die – konsequent als «Genderideologie» bezeichnete – Geschlechterforschung hätten die traditionellen Werte ausgehöhlt und dafür gesorgt, dass die Männer schwach und schlaff geworden seien. Und auch die angebotenen Gegenmittel gleichen sich: Mit Selbstdisziplin, Dominanz und Härte zurück zur echten Männlichkeit und zur naturgegebenen Weltordnung, in der durchsetzungsstarke Männer das Sagen und die Frauen ihre untergeordnete Position zu akzeptieren haben. Ob im Anzug oder im Tanktop: Was sie sagen, ist häufig austauschbar. Der harte Kerl, der die ganze Welt dominieren kann, ist ein Sehnsuchtsbild, das offenbar für viele Männer Strahlkraft hat – und dies relativ unabhängig von der sonstigen Weltanschauung. So bietet der erwähnte Rechtsrapper neben ausländerfeindlichen, deutschnationalen Songtexten mit seiner «Germanenherausforderung» auch ein Trainingsprogramm an mit dem Ziel, die verweichlichte Jugend fit zu machen für den Kampf gegen die Überfremdung. Wie das Buch von Ginsburg klar macht, kupfert der Rechtsrapper hier ganz offensichtlich vom erfolgreicheren Rapper Kollegah ab, der mit seiner «Bosstransformation» ebenfalls ein Programm anbietet, um vom «Lauch» zum «Alpha» zu werden. Auch sonst ist dieser für den Rechtsrapper in vielem ein Vorbild. Das Erstaunliche daran: Kollegah ist zum Islam konvertiert und fordert in Interviews dazu auf, streng nach den Regeln des Korans zu leben. Müsste das nicht das absolute Feindbild eines deutschen Rechtsradikalen sein? Offensichtlich nicht. Der ebenfalls muskelbepackte muslimische Rapper scheint für das eigene Weltbild weniger gefährlich als die Geschlechterforschung oder die queerfeministische Bewegung. Ginsburg macht in seinem Buch eine wiederkehrende Beobachtung: Verunsicherung und Kränkung bringen den Wunsch nach eindeutigen und unerschütterlichen Geschlechterverhältnissen hervor. Dieser Wunsch wird von verschiedensten Seiten online und offline bespielt und verstärkt. Die Erzählung ist einfach: «Werde wieder zum echten Mann, dann bekommst du Respekt, Geld und Sex.» Wird das Versprechen nicht eingelöst, machen gekränkte Männer nicht die holzschnittartigen Bilder von Männlichkeit verantwortlich – sondern die Frauen. Es droht eine Radikalisierung. Dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Radikalisierung, antidemokratischer Orientierung und Männlichkeit, wird schon allein durch die Zahlen augenscheinlich: In sämtlichen radikalisierten Gruppierungen sind Männer in der Überzahl. In der Reichsbürgerszene beträgt der Männeranteil 75 Prozent, in der salafistischen Szene 87 Prozent, in der AfD-Wählerschaft 69 Prozent. Trotzdem nehmen Politik und Öffentlichkeit die Wechselwirkungen zwischen Männlichkeitskonzepten und Radikalisierung bislang kaum wahr. Fachleute für geschlechterreflektierte Jungen- und Männerarbeit im deutschsprachigen Raum nennen immer wieder drei wiederkehrende Elemente, die sich bei allen untersuchten radikalisierten Gruppierungen zeigen. Erstens: Es wird eine unantastbare und naturgegebene Wahrheit behauptet. Je nach Gruppierung definiert diese das Verständnis von Geschlecht, Rasse, Ehe und so weiter. Die unterschiedlichsten Strömungen extremistischer Weltanschauungen gleichen sich im Kampf für die Erhaltung oder Wiederherstellung einer vermeintlich natürlichen Ordnung. Zweitens ziehen radikalisierte Gruppen eine klare Grenze zwischen Innen und Aussen. Sie konstruieren ein abgekapseltes Wir und werten das Andere oder die Anderen ab. Damit stärken sie den Zusammenhalt und den Selbstwert innerhalb der Gruppe. Das Fremde dient als Feindbild und wird als Sündenbock für das eigene Unbehagen instrumentalisiert. Gleichzeitig fordern sie eine unbedingte Loyalität zur eigenen Gruppe ein. Das dritte wiederkehrende Element ist das Feindbild Feminismus und Gender. Auch wenn sich die untersuchten Strömungen inhaltlich stark unterscheiden: Antifeminismus ist eine Konstante, die sich von fundamental-christlich bis salafistisch, von Höcke bis Putin durchzieht. «Feminismus» wird pauschal als machtvolle und bedrohliche Grösse gedacht. Kritik an den Geschlechterverhältnissen wird so als widernatürlicher und damit gewaltsamer Veränderungsversuch dargestellt. Markus Theunert, Gesamtleiter der Dachorganisation männer.ch und Mitverfasser des Fachberichts, erklärt diese Konstante in radikalisierten Männergruppen mit der Gleichzeitigkeit widersprüchlicher Anforderungen, denen sich Männer heute stellen müssen: «Die meisten Männer lernen auch heute noch, dass sie stark, dominant, leistungsstark und rational sein müssen», sagt er. Verletzlichkeit oder emotionale Bedürftigkeit würden dagegen abtrainiert. Diese Abspaltung sei ein Gewaltakt an sich selbst. In einer Welt, die die Gleichstellung der Geschlechter einfordert, belohnt man Dominanzverhalten, Leistungsorientierung und Gefühlsabwehr nicht mehr, sondern problematisiert und sanktioniert diese Eigenschaften. Das ist für viele Männer befreiend, aber für viele auch bedrohlich. Und für manche ist es wohl beides zugleich. Männer, die ihre Verletzlichkeit und Bedürftigkeit vor sich selbst verschleiern müssen, laufen Gefahr, die eigene Verletztheit in Wut oder Gewalt umzulenken, wenn sie Ablehnung erfahren. Dies insbesondere, wenn sie diese Ablehnung von Frauen erfahren, die sie als emotionale und sexuelle Anker brauchen, was sie sich aber nicht eingestehen können. Eine einfache Lösung, wie wir diese Mechanismen durchbrechen können, kennt auch der Fachmann nicht. Um tiefsitzende Dinge zu verändern, muss man beim Grundsätzlichen ansetzen: «Jungen und Männer müssen lernen, jene emotionale Abhängigkeit auszuhalten, die mit Liebe untrennbar verbunden ist.» In der Beratung sei es nötig, die Balance zu halten. Männer müssen sich in ihren Problemen verstanden und unterstützt fühlen, gleichzeitig gilt es auch die Grenzen zu setzen, die in gewissen Internetblasen und Subkulturen aufgehoben sind. Frauenhass oder Gewalt dürfen nicht als normal oder sogar legitim gelten. Hier in Kontakt zu bleiben, sei manchmal anstrengend, aber wichtig, sagt Theunert. Es ist diese zugewandte Haltung, die man in Ginsburgs Buch zuweilen vermisst. Er beschreibt Männer, deren Welt- und Frauenbild erschreckend, teilweise sogar verstörend ist. Beim Lesen stellt sich nach einer gewissen Zeit das Gefühl ein, sein Ekel über diese Einstellungen sei grösser als die Neugier für die beschriebenen Männer und ihre Geschichten. Wenn es Ginsburg öfter gelungen wäre, das Vertrauen dieser Männer zu gewinnen, eine echte Beziehung aufzubauen und neben ihrer abstossenden auch ihre verletzte Seite zu zeigen, wäre «Die letzten Männer des Westens» nicht nur ein wichtiges – sondern auch ein wegweisendes Buch. Thomas Neumeyer ist Leiter Betrieb und Kommunikation beim Dachverband der progressiven Männer- und Väterorganisationen männer.ch. Er lebt in Zürich, ist Vater und steht ab und zu mit seinen Songs auf der Bühne. Anstoss Demokratie Unter dem Dach der Initiative «Anstoss Demokratie» untersuchten drei Fachverbände für Jungen- und Männerarbeit im deutschsprachigen Raum die Zusammenhänge zwischen Männlichkeit, Radikalisierung und antidemokratischer Orientierung. Ziel des Projekts war es, die Potenziale geschlechterreflektierter Jungen- und Männerarbeit im Dienst von Radikalisierungsprävention und Demokratieförderung zu identifizieren. Infos: anstossdemokratie.net |