Die Freiheit jenseits der Buchstaben |
Von Adrian Soller
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Als er zum ersten Mal das Wort «trans» las, war das bedeutsam für ihn, weil er wusste: Ich bin nicht allein. Doch heute will Nicolas einfach Mann sein, und eben nicht: trans Mann.
Kim und Nico hingegen wollen nonbinär leben. Ihr Ort ist nicht zwischen den Geschlechtern, sondern, wenn das denn denkbar ist, ausserhalb der Geschlechterordnung. Für den 19-jährigen Alex wiederum, der Frauen wie Männer liebt, sind «genderfluid» oder «nonbinary» nur neue Begriffe für alte Schubladen. Doch was sie alle eint, ist: ihre Sehnsucht. Alle wollen sie frei sein. Alle wollen sie das Ordnungsprinzip «Geschlecht» wenn nicht abschaffen, dann wenigstens aufweichen. Auch David Garcia Nuñez will das und findet als Leiter des Innovations-Focus Geschlechtervarianz des Universitätsspitals Basel, dass wir Gleichstellungsfragen nicht auf Rollenbildfragen reduzieren sollten. Kai Funkschmidt hingegen mahnt an, dass Freiheit ohne Norm nicht zu haben ist. Der Referent der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen will, dass wir einen Weg finden, gegen Diskriminierung vorzugehen – ohne dabei Normen per se als Unterdrückungsinstrumente abzulehnen. Was auffällt: Noch nie hat es im ERNST so viele Interviews, so viele gedruckte Gespräche gegeben wie in der kommenden Ausgabe. Wir haben unsere eigenen Erfahrungen, unser eigenes Wissen hintangestellt; haben vor allem zugehört, haben Fragen gestellt, auf die neue Fragen folgten, sind andächtig durch die grossen Hallen farbenreicher Gedankengebäude spaziert und haben das Gehörte und Erlebte wirken lassen. Hoffentlich macht uns das Heft etwas klüger, etwas wacher, sicher gehen wir mit diesem Heft wieder dorthin, wo Freiheit, Freiheiten sind, wo Sehnsucht konkret wird. Die Lektüre des kommenden ERNST ist eine Reise in eine Welt, wie sie sein könnte. |