Helden
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Von Adrian Soller
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Als Junge spielte ich Playmobil wie ein Schachspieler. Nur alle paar Minuten bewegte ich eine Figur, der Rest passierte im Kopf. Dort aber gingen mir fantastische Abenteuerwelten auf. Mein Spiel war ein Fest der Gedanken. Jede Figur hatte ihren eigenen Charakter, durch jahrelanges Spiel geformt. Ich liebte jede einzelne von ihnen. Und ich wusste: Die Guten siegen immer. Denn sie waren: H-e-l-d-e-n!
Ich konnte meinen Glauben und meine Faszination für Heldengeschichten dank Che Guevara gerade noch so in die frühe Jugend retten. Doch dann kamen die Zweifel an den einfachen Geschichten. Ich habe beobachtet, wie mein Lieblingslehrer Beruhigungstabletten schluckte, um vor der Klasse zu bestehen und verstanden, dass uns die Kioskfrau nur dann Süssigkeiten schenkte, wenn diese das Verfalldatum überschritten hatten. Ich glaube, ich war einfach enttäuscht von meinen müden Heldinnen und Helden. Auch war die Schule arg heldenfeindlich gesinnt. Helden hatten in der Schule keinen Platz, weil Helden immer anstrengend sind. So vermied ich eine Zeit lang alles Heldische. Und ich verstand auch, wieso ich es zu vermeiden hatte. Weil sich Helden über andere stellen und damit gegen die Idee der Gleichheit verstossen und Hierarchien aufbauen. Weil es das Gute und das Böse nicht gibt, jedenfalls nicht in der Welt, die immer ein Gemisch von allem und nie eindeutig ist. Weil Heldengeschichten dumme Geschichten sind, simpel, einfach und vorhersehbar. Ich habe alles Heldische zerschmettert. Mein Lieblingslehrer war ein Mensch. Und die Kioskfrau eine Angestellte. Und wenn ich es von heute aus genau ins Auge fasse, dann sehe ich: Ich fühlte mich dabei selber – als Held. Als Heldenstürzer. Ich glaube, ich war damals nicht der Einzige damit und wohl recht gut im Zeitgeist eingebettet. Die neunziger Jahre brauchten keine Helden. Man verbat sich das Träumen, wollte nüchterner auf die Welt blicken. Aus Lennons Friedenshymne «Imagine» machte meine Generation einen Technohit. Doch heute bin ich wieder etwas grosszügiger mit mir und den anderen. Und den Heldinnen. Und Helden. Weil es ganz ohne sie eben auch nicht geht. Denn: Ein Leben ohne Helden ist ein Leben ohne Glanz. Solange wir an Helden glauben, glauben wir an das Gute. Es ist immer einfach und richtig, Helden vom Sockel zu reissen. Weil Helden nur Geschichten sind, die in unseren Köpfen entstehen. Aber Heldengeschichten sind seit jeher auch Ermächtigungsgeschichten. Sie geben unseren Wünschen und Hoffnungen ein Gesicht. Wir können uns irren, wenn wir ihnen blind folgen, aber wir können, wenn wir uns von ihrer Energie tragen lassen, Grosses erreichen, denn unsere Helden machen unsere Wünsche begehbar. |