Wir brauchen die Zustimmungsregelung!männer.ch-Soziologe Valentin Kilchmann begrüsst die Reformbemühungen des Sexualstrafrechts zwar, aber: es muss hierzulande noch viel passieren.»
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Von Valentin Kilchmann
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Jemand klingelt an meiner Tür, ich öffne – und lasse die Person in die Wohnung rein. Klingeln heisst: «Darf ich eintreten?» Tür aufmachen heisst: «Ja.» Gegenseitiges Einverständnis also. Was aber, wenn die Person, ohne zu fragen, in die Wohnung eindringt? Klar: Dann ist das strafbar. Und das unabhängig davon, ob ich mich gewehrt habe oder wehren konnte. Ich musste auch nicht explizit nein dazu sagen. Doch wie ist das beim Sex? Wenn ich mich an einer Person ohne ihr Einverständnis vergehe, ist das dann per se ein ernstzunehmender Übergriff? Geht es nach der momentanen Gesetzgebung, ist die ernüchternde Antwort: nein. Wenn es nach dem aktuell diskutierten Revisionsentwurf geht: auch nicht wirklich. Und das, obwohl die sexuelle Integrität einer Person besonders schützenswert sein müsste. Doch beginnen wir von vorne.
In der Vergangenheit gab es immer wieder Fälle, wo ein ausdrückliches Nein des Opfers zu Geschlechtsverkehr ignoriert wurde – und eine Verurteilung wegen Vergewaltigung trotzdem nicht möglich war. Weil keine physische Gewalt im Spiel war, oder sich das Opfer nicht stärker wehrte. Ein Nein [VK1] reicht heute nicht. Eindrücklich haben dies Nora Scheidegger, Agota Lavoyer und Tamara Stalder im vergangenen Jahr erschienenen Artikel «Reformbedarf im schweizerischen Sexualstrafrecht» illustriert. Und es kommt noch absurder: Ein Mann kann, rechtlich gesehen, nicht vergewaltigt werden. Im Strafgesetzbuch, Absatz 190, steht zur Vergewaltigung: «Wer eine Person weiblichen Geschlechts zur Duldung des Beischlafs nötigt, namentlich indem er sie bedroht, Gewalt anwendet, sie unter psychischen Druck setzt oder zum Widerstand unfähig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.» Jetzt schon dürfte klar sein: Eine Revision des Sexualstrafrechtes ist bitter nötig. «Erst Ja, dann ahh.» Mit diesem Slogan startete Amnesty International im Sommer vor zwei Jahren die Kampagne gegen sexuelle Gewalt und für ein neues Sexualstrafrecht. Dies, nachdem eine von der Menschenrechtsorganisation in Auftrag gegebene repräsentative Studie enthüllt hatte, dass jede fünfte Frau in der Schweiz schon einmal sexuelle Gewalt erfahren hat. Zwölf Prozent erlitten Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen. Seit dieser Kampagne ist Einiges ins Rollen gekommen. Der Stand der Dinge: Im Februar legte die Kommission für Rechtsfragen des Ständerats Vorschläge zur Revision des Sexualstrafrechts vor. An der darauffolgenden Vernehmlassung hat sich der Dachverband der progressiven Väter- und Männerorganisationen männer.ch beteiligt. In den Revisionsvorschlägen sind diese Mängel teilweise beseitigt: Die Kommission führte einen neuen Strafbestand ein, jener des sexuellen Übergriffs, in dem sexuelle Handlungen gegen den Willen einer Person strafbar sind. Das heisst, es braucht keine Gewalteinwirkung – und ein hörbares ‘Nein’ des Opfers reicht. Amnesty International und Opferschutzorganisationen kritisieren die Neueinführung eines zusätzlichen Strafbestandes aber, sie wollen lieber eine breitere Definition von Vergewaltigung. Nicht unbedingt die Gewalttätigkeit sei das ausschlaggebende Übel, sondern die Verletzung der sexuellen Integrität. Ob gewalttätig oder nicht, könne das Gericht beim Strafmass immer noch berücksichtigen. Eine weitere wichtige Neuerung im Revisionsentwurf ist die Ausweitung des Vergewaltigungs-Paragrafen auf «beischlafsähnliche Handlungen, die mit einem Eindringen in den Körper des Opfers verbunden sind». Und auf Männer. Beides allerdings nur in einer der zwei vorgeschlagenen Versionen. männer.ch hält die Revision für einen wichtigen Schritt. Trotzdem geht die Vorlage nicht weit genug. Selbstredend sind wir für eine geschlechtsneutrale Formulierung im Gesetz, sprechen uns also für die Ausweitung des Vergewaltigungs-Paragrafen aus. Insbesondere im zentralen Punkt der Einvernehmlichkeit vermissen wir aber Mut und Fortschrittlichkeit. Wir kritisieren die verpasste Möglichkeit, die sexuelle Selbstbestimmung besser zu schützen: durch die Einführung des sogenannten Zustimmungsprinzips («Ja heisst Ja»), im Gegensatz zum Vetoprinzip («Nein heisst Nein»). Ersteres heisst dann im Gesetz: «Wer ohne Einverständnis einer Person… macht sich strafbar». Letzteres: «Wer gegen den Willen einer Person…». Uns ist bewusst: Die Frage ist kontrovers. Und die Diskussionen sind verstrickt: Nicht selten operieren Gegnerinnen und Gegner mit Unwahrheiten und Polemiken. Man müsse, behaupten sie, vor dem Geschlechtsverkehr dann einen Vertrag unterschreiben oder eine Notarin beiziehen. Das ist Humbug. Prinzipiell wäre ein bisschen mehr ehrliche Kommunikation rund ums Thema Sex sicherlich keine schlechte Idee – und im besten Fall beförderte eine «Ja-heisst-Ja»-Regelung im Gesetz einen freieren gesellschaftlichen Austausch rund um Sexualität und consent, die gegenseitige Zustimmung also. Doch auch mit der Einführung der Zustimmungslösung müssten wir nicht vor jedem Akt alles absprechen und abfragen. Zustimmung kann auch Mitmachen bedeuten, respektive ein Signal, dass man mitmachen möchte. «Konkludent» nennt man das im Jus-Slang. Consent ist also eigentlich das Natürlichste der Welt und juristisch erprobt. Man nimmt sich nicht einfach, steht gegenseitig in Kontakt. Man ist bezogen aufeinander und respektiert Grenzen. Das lernt man schon im Kindergarten und ist die Grundlage jeder friedfertigen Kommunikation. Wieso sollte das im sensiblen Bereich der Sexualität anders sein? Klar: Wo es Kommunikation gibt, gibt es Ambivalenz. Doch niemand muss Gedanken lesen können. Grundsätzlich gilt auch bei der Zustimmungs-Regelung: Ein erwiesener Tatvorsatz ist immer noch die Voraussetzung für eine Verurteilung. Wenn nicht erkennbar war, dass eine Person nicht mitmachen wollte, können sie einen nicht belangen. Unsere Gerichte sind sich gewohnt, die Glaubwürdigkeit von Schilderungen einzuschätzen. Und im Zweifelsfall gilt immer noch die Unschuldsvermutung. Ganz wichtig: Falschanschuldigungen hätten nicht plötzlich mehr Gewicht. Zweifelsfrei steht fest: Das Vetoprinzip («Nein heisst Nein») wäre im Vergleich zur alten Rechtsordnung schon ein grosser Schritt. Doch die in anderen Ländern wie Schweden oder Kroatien bewährte Zustimmungslösung ist fortschrittlicher. Sie wäre ein Signal für den Willen, potenzielle Opfer zu schützen. Mittlerweile gilt als erwiesen, dass eine häufige Reaktion auf eine Vergewaltigung das sogenannte freezing – die Schockstarre – ist. In einem solchen Zustand kann sich ein Opfer nicht mehr wehren und auch nicht Nein sagen. Auch wenn eine Vergewaltigung offensichtlich wäre, könnten wir sie nur mit der Zustimmungsregelung mit Bestimmtheit strafrechtlich verfolgen. Und Opfer müssten sich hoffentlich nicht mehr länger Dinge anhören, wie: «Wieso hast du nicht deutlicher nein gesagt?» Oder: «Hast du es mit deiner Kleidung vielleicht provoziert?» Oder gar: «Hast du es nicht doch gewollt?» Wir würden mit der Zustimmungsregelung die Verantwortung fairer verteilen. Alle Beteiligten müssen sich um ein Mindestmass an Kommunikation bemühen. Das ist doch eigentlich der Umgang mit Sexualität, den wir wollen, oder? Jemand klingelt an meiner Tür, ich mache auf, wir trinken etwas, quatschen ein bisschen, es wird spät, eine Spannung macht sich breit, die Luft beginnt zu knistern, der Puls beschleunigt sich und dann frage ich: «Wollen wir uns ein bisschen näherkommen?» Fällt jetzt die Spannung in sich zusammen wie ein Kartenhaus? In meiner Erfahrung passiert eher das Gegenteil und es kann – so es denn für beide stimmt – der Anfang einer freieren sexuellen Begegnung sein. Aber dass es eben für beide stimmt, das weiss man besser, wenn man miteinander redet. Und wenn man es weiss, dann ist das befreiend. Denn Hingabe braucht Vertrauen und Sicherheit. Ich weiss ja nicht, wie es Dir geht, ich jedenfalls finde: Consent ist sexy. Soziologe Valentin Kilchmann ist Leiter Betrieb und Kommunikation beim Dachverband der progressiven Schweizer Männer- und Väterorganisationen männer.ch. |