Soll Mann sich Feminist nennen?
Eine alte Frage, neu beantwortet. Und zwar vom Gründungspräsidenten der Feministen Nils Jocher und von ERNST-Redaktor Frank Keil. »
Texte: Nils Jocher und Frank Keil
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Nils Jocher, die Feministen «Es braucht Männer, die sich mit dem Feminismus verbinden.» Immer mehr Männer bezeichnen sich als «feministisch». Auch ich. Ich bin Feminist. Vor zwei Jahren haben wir den Verein «die Feministen» an einem bunten Abend um elf Uhr nachts gegründet. Gestartet sind wir mit sehr viel weiblicher Anstossunterstützung und ironischerweise mit einer grossen Portion «Wir ziehen das durch, wir sind stark, wir können das, das wird gross». Von diesem «männlichen» Pathos konnten wir uns zunehmend lösen. Feministen, also. Ob das denn nicht anmassend sei, und ob ich denn noch nie in tiefe Fettnäpfchen getreten sei oder einen sexistischen Witz gerissen habe? Doch, klar habe ich das. Es ist unrealistisch, tief verankerte gesellschaftliche Vorstellungen und Verhaltensweisen sofort zu ändern. Immer wieder gibt es Momente, in denen ich mich nicht traue aufzubegehren gegen die lachende Runde, die offenbar so gar kein Problem erkennt. Das ist nicht gut. Aber vermutlich menschlich. Ich bin nicht perfekt. Wir sind alle Kinder dieser Gesellschaft und tragen einen gewissen Sexismus in uns. Wir Feministen sind auch nicht Helden. Doch wir versuchen die richtige Richtung einzuschlagen, eine Richtung, die wir alle einschlagen müssen, um mit Klischees zu brechen und echte Gleichstellung einzufordern. Wichtig ist, dass wir es schaffen, mehr zu reflektieren und eine Kultur zu entwickeln, die Sexismuskritik nicht weggrölt. Und weil Männer leider vor allem Männern zuhören, sind diese, sind wir, in der Verantwortung. Es braucht Männer, die sich mit dem Feminismus verbinden. Wir Feministen wollen nicht nur über unsere (Rollen-)Unsicherheiten reden – sondern auch unsere Privilegien hinterfragen. Wir müssen nicht nur Vaterschaftsurlaub diskutieren, sondern Themen, die wehtun: Femizide sind real – und wir Männer müssen darüber reden. Auch müssen wir über Alltagssexismus reden, und wir können darauf achten, dass wir reine Männerrunden vermeiden, dass Frauen ähnliche Redeanteile in Diskussionen einnehmen können, dass wir einander nicht unterbrechen und dass wir manchmal einfach die Fresse halten. Wir können uns austauschen, voneinander lernen und uns im Widersetzen gegen die gängigen Rollenbilder bestärken. Und auch wenn es nicht einfach ist: Wir können und müssen uns auch gegenseitig konfrontieren. Diese Sexismus-Kritik muss nicht immer angriffig sein, ein empathisches Nachfragen «Ou, war das jetzt nicht sexistisch?» bewirkt oft schon Wunder. Nur weil wir uns Feministen nennen, sind wir noch keine besseren Männer, nein, aber es verbindet uns mit den Frauen, mit dem Aktivismus, es baut Brücken und vor allem ist es ein Ziel: Wir wollen die Welt verbessern, politisch und persönlich. Und das können wir nur alle gemeinsam tun. Alle Geschlechter sind gefragt. Frank Keil, Journalist «Es wäre Theorie.» Thomas sagt: «Frauen tun gut, wenn es schwer wird im Leben.» Ich habe diesen Satz sofort unterstrichen, dann auf meinem Fragezettel notiert (zuvor hatte ich kurz aufgelacht). Denn Thomas ist eine Figur in dem neuen Roman von Katrin Seddig, der «Sicherheitszone» heisst. Mit Katrin Seddig habe ich mich gestern zum Interview getroffen, für einen Artikel, wegen Corona nicht in einem Café, sondern in einem Park, obwohl es schwer nach schwerem Regen aussah. Thomas ist Anfang fünfzig, gerade von zu Hause ausgezogen, er hat eine neue Freundin, aber so richtig glücklich ist er mit ihr nicht, weil überhaupt sein ganzes Leben auseinanderfällt und nichts mehr sicher und noch weniger gewiss ist. «Auf dem Fensterbrett stehen Zimmerpflanzen, die nicht lebten und die nicht tot waren», schreibt Katrin Seddig über Thomas Fensterbank (er wohnt jetzt in der Gästewohnung über der Garage gegenüber seinem Haus und muss sich ausmalen, wie seine Ex-Frau mit einem neuen Mann ins Bett geht, so wie er das ja auch tut, nur eben mit einer neuen Frau, aber das löst sein Unbehagen nicht auf, im Gegenteil, es ist der falsche Mann, mit dem seine Frau jetzt zusammen ist, logisch). Und dann sagte Katrin Seddig im Interview über Thomas: «Es ist schwierig für die Männer in dieser Generation. Natürlich sind sie immer noch die, die Macht haben, aber wenn sie feinfühlig sind und merken, dass die Gesellschaft sich gewandelt hat, haben sie vielleicht eine Theorie, wie der Mann von heute besser sein könnte, aber sie haben das nicht verinnerlicht. Der Mann, der emanzipierte Mann weiss nicht genau, wo er eigentlich hingehört, auch wenn er vielleicht weiss, wie es richtig wäre.» Und deswegen nenne ich mich nicht «Feminist». Es wäre ein Etikett, ein Label, ein Slogan. Es wäre – Theorie. Ausgedacht, vielleicht klug abgeleitet, aber eben ausgedacht, und das muss nicht sein. Und wie komme ich jetzt auf Swetlana Tichanowskaja, die belarussische Oppositionsführerin? Auch über einen Text, ein Interview neulich mit ihr in der ZEIT. Wo sie erzählte, dass sie und ihre beiden Mitstreiterinnen, viel, viel prominenter als sie, sich in nur fünfzehn Minuten darauf geeinigt hätten, dass sie die Präsidentschaftskandidatin der Opposition werden würde und die anderen beiden, die gleichfalls für ihre landesweit bekannten, nun inhaftierten Männer angetreten wären, nicht. Sie sagt: «Wenn unsere Männer die Erlaubnis gehabt hätten, anzutreten, hätten sie sich nicht zusammengetan.» Sie seien zu ehrgeizig, sie dagegen wolle nicht Präsidentin werden. Sagt: «Wenn Macht bedeutet, dass man Verantwortung trägt, dann will ich sie nicht, ich finde es furchtbar. Jeden Tag muss man Angst haben, dass man Fehler macht, die schwere Folgen für das Land und die Menschen haben.» Sagt dann: «Macht ist eine Last, das wünsche ich niemandem. Für manche bedeutet Macht vielleicht Freiheit. Für mich nicht. Ich will bei meinem Mann und meinen Kindern sein.»</P> Vielleicht ist sie gar keine Feministin, nach so universitär-genderpolitischen Massstäben, die Swetlana Tichanowskaja, mit zwei Kindern und einem Mann, auf den sie sich freut, und kein bisschen bisexuell. Aber ich denke bis heute darüber nach, wie sie das macht, so auf die Macht zu pfeifen, so innerlich. |