Feminismus in der katholischen Kirche
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«Wir sind
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Frau Grünenfelder, Sie sind Feministin. Und Sie sind katholische Theologin. Geht das zusammen?»
Text und Interview: Ivo Knill
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«Nein! Wir sind die Mehrheit!», sagt Regula Grünenfelder. Sie ist eine Frau, sie ist katholisch und eine feministische Theologin. Geht das zusammen? Ist sie nicht von allem Anfang an auf dem verlorenen Posten einer Minderheit? «Nein», findet sie. Sie sieht sich als Teil jener Mehrheit von katholischen Menschen in der Schweiz und auf der Welt, die gegen Frauenverachtung, und gegen Missbrauch in der Kirche sind. Und sagt mit Nachdruck, dass sie in der Kirche bleibt, denn: «Wenn wir austreten, verliert die Kirche.» Ich spreche mit Regula Grünenfelder, den besonderen Umständen Rechnung tragend, per Zoom.
Auf Grünenfelder bin ich durch den Hinweis einer guten Freundin gestossen, als wir wieder einmal über die Kirche redeten. Vor einigen Monaten machte ich die verblüffende Entdeckung, dass viele meiner Freunde und Freundinnen einen katholischen Hintergrund haben – und alle in einem unbefriedigenden «Noch» zur Kirche stehen. Noch nicht ausgetreten, aber schon lange irgendwie abgehängt, aber doch auch wieder zu sehr gebunden, verbunden, geprägt, um die Kirche hinter sich zu lassen. Als ich Regula Grünenfelder nun auf dem Bildschirm sehe, fühle ich mich sofort verwandt, ohne benennen zu können, was es ist. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Söhnen im halböffentlichen Pfarrhaus, hat sie mir geschrieben. Vielleicht erinnert mich dies an die Pastoralassistenten in meiner Jugend, die eine neue, lebendige und engagierte Kirche in das grosse Appenzeller Dorf brachten. Ich schlage das Du vor - vielleicht als ein Du unter dem Dach der katholischen Kirche, unter dem wir uns in sehr unterschiedlicher Weise bewegen, vielleicht als ein Du unter Gleichberechtigungs-Engagierten. Vielleicht schlage ich es aber auch vor, weil meine erste Frage eine sehr persönliche ist. «Betest du?» Die Antwort fällt kurz aus: «Ja». Ich frage nach, Regula Grünenfelder holt Anlauf. Ganz schön mutig, die Frage, findet sie und erzählt dann: Ja, jeden Morgen betet sie gemeinsam mit ihrem Mann. Sie folgen der «via integralis», einer Praxis, die Zen und christliche Mystik verbindet. Sie beten das «Vater Mutter unser» und wenden sich im Gebet dem zu, was sie beschäftigt. Ich sehe sie und ihren Mann in einem Raum der Stille und Einkehr, den sie sich schaffen. Doch noch bevor das Bild sich mit Kerzen und Blumen vom Feld rundet, ergänzt sie schon: «Aber eigentlich bin ich eher eine Christin mit Händen und Füssen.» Viele Menschen beten, sogar Atheisten können das. Aber geht das? Erst vor zwei Tagen habe ich mit meiner Tochter darüber gesprochen: Braucht es, auch wenn Beten eine Verbindung mit den guten Gedanken, Kräften und Seiten in uns und der Welt ist, nicht einen Gott, ein Du, dem man sich zuwendet? «Es gibt ein Du», sagt Grünenfelder, «aber nicht so ‘ein Du Herr’, wie ein ‘du Herr Maier’. Vielleicht kann man es so sehen, wie es Mystikerinnen und Mystiker erlebt haben, nämlich, dass Gott das Beste in uns ist.» Und sie fragt nach: «Wer ist denn das Ich, das mit Gott in Beziehung tritt? Wer ist das Ich, das betet?» So habe ich es mir noch nie überlegt. Wenn ich es mir jetzt überlege, stosse ich auf dieses Kinder-Ich, dem das Beten beigebracht wurde. Andacht, Ehrfurcht und Hände waschen vor der Kommunion. Habe ich das je abgelegt? Grünenfelder erklärt: «Stell dir einen Sack aus schöner, feiner Seide vor. Steck alles hinein, was dich ausmacht: Namen, Titel, Ämter, Schulbildung, Beziehungen, Freundschaften, Besitztümer, deinen Körper; alles, was dich freut, was dich ängstigt – steck es hinein: Was bleibt dann übrig? – Es bleibt etwas, auch wenn man alle Attribute ablegt. Ein «Etwas», nicht einfach das Ego. Es bleibt etwas und das könnte dieses «Ich» sein, das dem göttlichen «Du» begegnet. Ich möchte es nicht Seele nennen, das ist vielleicht schon wieder zu gewusst, es ist mehr, es geht durch die ganze Existenz. Wenn ich darin Gott begegne, entsteht eine Handlungsfähigkeit.» Handlungsfähigkeit aus der Begegnung mit Gott: So habe ich es mir noch nie gedacht, da geht für mich eine Türe auf. In eine Kirche? In ein Leben, das aus dem Innehalten schöpft? Die Kirche Wenn Gott dieses grosse Du ist, das wir erfahren, wenn wir uns frei machen von allem: «Braucht es eine Kirche zum Beten?» Ich denke an die katholische Kirche, deren Missbräuche und Mängel nur zu offensichtlich sind, ich denke an eine Kirche, zu der ich ein zwiespältiges Verhältnis habe. An das Raunen der Stimmen im gemeinsamen Beten im Bauch der Kirche erinnere ich mich mit einem Gefühl von Geborgenheit. «Der Leib Christi», «wie auch wir vergeben unseren Schuldigern»: Die Worte verstand ich nur halb, aber in den gemeinsam gesprochenen, immergleichen Gebeten war eine Kraft, an die ich mich heute erinnere. Ich finde Geborgenheit in dieser Erinnerung. Aber den Zugang zur heutigen katholischen Kirche finde ich nicht mehr, weil sie eine Kirche des vertuschten Missbrauchs und der lächerlich überholten moralischen Positionen geworden ist. Ich erwarte von Regula Grünenfelder den Seufzer einer kritischen Kirchenfrau, die meiner inneren Kritik zustimmt. Stattdessen erzählt sie von ihrer früheren Wohngemeinde. «Eines Tages, Knall auf Fall, wurde eine Flüchtlingsfamilie ausgeschafft. Ein Polizist trug den Schulthek des Kindes, wohin die Reise gehen würde, durfte er nicht sagen. Es hiess, sie würde in Lyon vom Roten Kreuzt abgeholt werden. Aber da war niemand. Frierend, hungrig, drei Kinder an der Hand, ein Baby auf dem Arm, stand die Familie da. Leute gaben ihnen Geld, und so kehrten sie zurück ins Schweizer Dorf, wo sie verstört ankamen. Wir haben das Dorf in die Kirche eingeladen, um zu beraten, wie es weitergehen sollte. Von links bis rechts; katholisch, reformiert, Muslimas, Freigeister: In der Kirche kam das Dorf zusammen, um zu beraten und einen Weg zu finden. Es gab Platz und ein Mikrophon für diejenigen, die etwas zu sagen haben, Kinder wie Erwachsene. Das ist meine grösste Kirchenerfahrung. Kirche ist ein Ort», sagt Grünenfelder. «Wir brauchen diese Orte, diese Räume.» Ich bin überrascht, weil in diesem Bild der Kirche der Papst und die Bischöfe gar nicht so wichtig sind. Grünenfelders Kirche scheint nicht so sehr von Oben herab definiert zu sein – sondern im Leben verankert. «Kirche ist, was Menschen erschaffen», sagt sie, «hier und in den Ländern des Südens. Die katholische Kirche ist eine Weltkirche, das ist eine Chance. Wir müssen uns für eine andere Kirche einsetzen, für eine gelebte Basiskirche, Kirche ist ein globales Netz.» Gott ist kein Mann Ich bin einverstanden, ja, ich bewundere die Kraft von unten, die Bewegung, die Kirche, die Regula Grünenfelder lebt. Und doch frage ich weiter: Geht das, kann sie als Feministin Mitglied der katholischen Kirche sein? Ist das nicht ein Widerspruch in sich? «Es geht», sagt sie. «Wir sind viele. Wir lassen uns nicht rausdrängen. Wir dürfen die Kirche nicht den Fundamentalisten überlassen. Nicht nur der Islam, auch der Katholizismus kennt Tendenzen zur Ausschliesslichkeit. Beim Islam sehen wir es, beim Katholizismus schauen wir weg.» Und jetzt fällt ihre Aussage zur Mehrheit: «Nein, wir sind die Mehrheit! Wie viele Gläubige vertritt denn ein Bischof von Chur, wenn er einen guten Seelsorger wie Martin Kopp auf die Strasse stellt? Die Mehrheit der katholischen Menschen in der Schweiz sind gegen Frauenverachtung, sind für gleiche Rechte und Würde der Frauen. Wenn wir austreten, dann verliert die Kirche.» Aber ist denn die Kirche nicht dermassen und grundlegend patriarchal in ihrem Denken und ihrer Überlieferung und hierarchisch in ihren Strukturen, dass ein egalitärer, feministischer Ansatz auf verlorenem Posten steht? «Wir haben keine patriarchatsfreie Überlieferung», entgegnet Grünenfelder, «aber selbst in den ältesten Texten der Bibel findet sich ein vielfältiges Gottesbild. Es gibt El Schammai, Gott der Mutterbrüste, Barmherzigkeit als wichtigste Eigenschaft Gottes ist im Hebräischen das gleiche Wort wie Gebärmutter, und Gott ist Adlersmutter in der hebräischen Bibel. Ausserdem ist Jesus in den Wortkleidern der Chokhma-Sophia, der Weisheit Gottes gekleidet. Gott einzig und allein als «Herrn» zu verehren, verstösst gegen das Bilderverbot. Es verbietet, sich ein einziges Bild von Gott zu machen. Und dass Gott immer mit «Herr» übersetzt wird, ist schlicht falsch. Es gibt die Stelle beim Propheten Hosea, wo Gott sagt: «Ich bin Gott und kein Mann.» Es gibt prägende Frauen in der jüdisch-christlichen Überlieferung. Und wenn ein neutestamentlicher Schreiber den Frauen das Wort verbietet – «sie sollen schweigen vor der Gemeinde» – dann kann das doch nur heissen: Dass sie eben redeten, lehrten, prägten. Die Bibel ist vielschichtig und vielstimmig. Wir müssen kreativ sein und sie auch gegen des Strich lesen.» Als Papst Franziskus vor zwei Jahren Abtreibung mit einem Auftragsmord verglich, da traten sechs bekannte Schweizer Feministinnen aus der Kirche aus: die beiden früheren Nationalrätinnen Cécile Bühlmann (gp., Luzern) und Ruth-Gaby Vermot (sp., Bern), die ehemalige grüne Zürcher Stadträtin Monika Stocker, die beiden Theologinnen Regula Strobel und Doris Strahm sowie Anne-Marie Holenstein, die frühere Direktorin des katholischen Hilfswerks Fastenopfer. Für Regula Grünenfelder ist klar: «Es ist eine Katastrophe, wenn der Papst so etwas sagt, es ist eine Katastrophe, wenn die Kirche so von Abtreibung spricht. Wenn sie so über Frauen urteilt und zugleich ihre eigenen Missbräuche nicht angeht.» Ihre Antwort sieht sie aber nicht im Austritt aus der Kirche, sondern im Engagement für eine andere Kirche. Die andere Kirche Die Kirche nicht den anderen überlassen, die Kirche nutzen als eine Struktur, die die Welt umspannt, das ist Grünenfelders Ansatz. Sie ist Mitbegründerin des «CWC Catholic Women’s Council», in dem sich katholische Frauenverbände, freche Initiativen wie Maria 2.0 und Ordensschwestern organisieren. Die Liechtensteiner Stiftung «Voices of Faith», die früher Priesterausbildungen unterstützte, bietet jetzt Strukturen und ein Büro in Rom. «Wir sind bis nach Rom gekommen, wir haben unsere Themen auf Weltkirchenniveau gebracht», sagt Regula Grünenfelder. Sie spricht vom Projekt in Indien, in dem sich ein Mann aus der Kaste der Unberührbaren gegen familiäre Gewalt engagiert, zusammen mit Ordensfrauen. Ein indischer Priester erzählt: «Die Kirche war das Schwert über uns», die richtende Instanz, die der Verachtung von Frauen Raum gab. Nun engagieren sich diese beiden Männer gegen Gewalt und Ungleichheit und ermuntern Männer, Frauen auf Augenhöhe zu begegnen. Die Kirche muss sich regen, verändern, gerade in den Ländern des Südens, wo sie noch Macht hat und Schrecken verbreiten kann, eben in Indien etwa. Wir müssen aufstehen: «Ein Tsunami von Missbrauchsvorwürfen wird uns aus Indien und Afrika entgegenkommen, wir können jetzt dafür sorgen, dass dies zur Sprache und die Gewalt ans Licht kommt.» «Wir beseelen die Welt mit unserem Tun». Allmählich geht unsere Gesprächszeit zu Ende. Grünenfelder spricht von einer Kirche, die nicht an Hierarchien, Dogmen und Verlautbarungen von oben hängt, sondern täglich neu entsteht. Ich sehe auf dem Bildschirm einen Ausschnitt von ihrem Büro, ein Plakat hängt an der Wand, vielleicht für die Konzernverantwortungsinitiative, so gut kann ich es nicht lesen. Hinter dem Vorhang geht das helle Licht eines Nachmittags im März auf. «Wir müssen uns Mühe geben und kreativ sein. Ich glaube, dass wir die Welt beseelen können, indem wir <es> tun. Ich erlebe das». Ich bin der Noch-Katholik, auch am Ende des Gesprächs. Wenn die Kirche, die Grünenfelder lebt und für die sie sich einsetzte, in meiner Nähe wäre, erreichbar: Wäre ich dabei? Könnte ich mich anschliessen? Würde ich die verlorene Kirche meiner Kindheit finden? Oder kann ich ihr nur treu bleiben, wenn ich die Türe der Institution hinter mir schliesse und das freie Feld des Lebens betrete? «Wir können die Welt beseelen!», sagt Grünenfelder. Als wir über die Aussage des Papstes zur Abtreibung gesprochen haben, erzählte ich von meiner Verletzung als Angehöriger eines Menschen, der Suizid begangen hat: Zu meinem Schmerz über den Tod kam der Schmerz und die Empörung über eine Kirche, die Suizid als Sünde bezeichnet. Sie urteilt, ist ein Schwert über dem Kopf, auch für mich. Ob ich das Schwert loswerde? Ich weiss es nicht. Nach dem Gespräch mit Regula Grünenfelder habe ich das Gefühl: Vielleicht muss ich es nicht so genau wissen. Regula Grünenfelder ist Leiterin der Leiterin Fachstelle feministische Theologie, die vom Verein Frauenkirche getragen wird, und engagiert sich im 2019 gegründeten «Catholic Women‘s Council». Die Bewegung, die in der Schweiz und Deutschland beginnt und Frauen aus den Landeskirchen verbindet, kommt bis nach Rom, bis in das Zentrum der Macht. |