«ICH BIN DER SOHN EINES KRIEGSVERBRECHERS.»
Niklas Frank braucht den NS-Mantel seines Vaters als Vogelscheuche. Eine Geschichte eines ganz besonderen Erbstückes.
von Frank Keil
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Der Gürtel sitzt nicht mehr richtig. Hat sich gelöst, die Enden hängen lose herunter. Und Niklas Frank zieht den Gürtel stramm, verknotet die Enden, schlägt auch den Kragen hoch, so dass der Mantel wieder einigermassen in Form ist, das Leder knarrt dabei, es ächzt wie unter Schmerzen. Der Mantel ist ja nicht mehr neu und hier draussen jeden Tag 24 Stunden lang dem Wind, dem Regen, der Sonne und der Nacht ausgesetzt, und das seit vielen Jahren.
Es ist der Mantel seines Vaters, ein Militärmantel; die Erben eines amerikanischen Offiziers, der seinen Vater seinerzeit verhaftet hatte, hatten ihn dem Sohn zum Kauf angeboten. 500 Dollar hatten sie verlangt, und Niklas Frank hat sie ihnen bezahlt. Und dann hat er den Mantel, ein von Erben gekauftes Erbstück, als Vogelscheuche aufgestellt; zu Fusse des von ihm angelegten Teiches, damit die Vögel sich nicht die Fische holen, die so in Ruhe ihre Bahnen ziehen können, mal tief über den mit schwarzer Folie ausgeschlagenen Boden, mal nahe an der Oberfläche, um Fliegen zu fangen oder nach dem Wetter zu schauen. Es nieselt, es hört auf zu nieseln, es fängt gleich wieder an. Niklas Frank steht im Garten, der sich dem Bauernhaus anschliesst, das eine Ruine war, bevor er sie hat ausbauen lassen und sie sein Zuhause wurde. Westwärts, eine gute Autostunde von Hamburg entfernt, da wo das Land flach und flacher wird, die Strassen kleiner und schmaler werden und man besser sein Tempo ihrem Zustand anpasst, das Meer ist nicht mehr fern: «Nehmen Sie», sagt Niklas Frank und weist auf den Birnbaum, der am Rande des Gartens steht, «greifen Sie ruhig zu.» Klein seien sie, viel zu trocken sei der Sommer schliesslich gewesen, dafür bissfest, und ich nehme drei Birnen. Pflücke sie vorsichtig, halte sie in der Hand, sie fühlen sich schnell warm an. Niklas Frank ist der Sohn von Hans Frank, ab 1939 Generalgouverneur der von den Deutschen besetzten Gebiete Polens, sie nannten ihn den «Schlächter von Polen». In der Nacht vom 15ten auf den 16ten Oktober 1946 wird er in Nürnberg gehängt. In einer Turnhalle hat man alles dafür hergerichtet, die Todesurteile des Nürnberger Kriegsverbrecher-Tribunals gegen elf der 24 Angeklagten zu vollstrecken. «Nein» sagt Niklas Frank dann schliesslich bestimmt, in seiner Schreibklause, wo er rauchen kann, einem Anbau gegenüber dem Haupthaus, anfangs steht die Tür weit offen, damit der Rauch abziehen kann, aber dann wird es doch zu frisch: daran, seinen Nachnamen zu ändern, amtlich einen anderen Namen eintragen zu lassen, daran habe er nie gedacht. «Frank ist ein Allerweltsname», sagt er. Klopft die Asche von seiner Zigarette, nimmt einen Zug, inhaliert. Früher habe man ja stets angeben müssen, welchen Beruf der Vater habe, er habe dann immer «Rechtsanwalt» eingetragen, was ja nicht verkehrt gewesen sei, aber eben alles andere als die Wahrheit. Wobei – ha! – da fällt ihm ein, wie das war, als er 1973 in München als Redakteur beim PLAYBOY anfing, für die Kultur war er dort zuständig, für die grossen Geschichten drumherum, die Interviews. Mister Spellman, ein deutscher Jude, Supervisor aus der Zentralredaktion, von drüben in den USA, der habe ihn am ersten Arbeitstag zum Essen eingeladen, ein Mann, der gern und gut und viel ass. In einem Drei-Sterne-Restaurant sitzen sie: «Und dann sagte er mir mit seiner hohen Stimme: ‹Wir wissen schon, wes’ Vaters Kind Sie sind. Aber wenn Sie mir versprechen, nicht ähnliche Tiraden niederzuschreiben, wie sie ihr Vater geschrieben hat, sind Sie uns herzlich willkommen›», sagt Niklas Frank. Er sagt: «Die Amerikaner haben damals schon geschaut, woher man kam, aber sonst hat das niemanden interessiert.» Sein Vater also: Hans Frank, Sohn eines Juristen, Jahrgang 1900, Freikorpssoldat, erst der SA beigetreten, dann der NSDAP. Ist am 9. November dabei, als Adolf Hitler mit seinen Gefolgsleuten in München zur Feldherrnhalle marschiert. Taucht unter, kehrt zurück, wird Jurist, auch Reichstagsabgeordneter, vertritt Hitler bei rund vierzig Prozessen. Steile Karriere nach der Machtübernahme, verantwortlich für die schnelle Gleichschaltung der Justiz, Reichsminister, ab Herbst 1939 sitzt er in Krakau, residiert auf der Wawel-Burg, Sitz polnischer Könige über Jahrhunderte, Blick über die Weichsel, mehr als eine Million Polen lässt er als Zwangsarbeiter ins Deutsche Reich bringen. Als offizieller Vertreter des Führers ist er für Deportationen der polnischen Juden mitverantwortlich, vier Konzentrationslager werden in seinem Zuständigkeitsbereich errichtet; zwei Töchter, drei Söhne: Sigrid und Brigitte; Norman, Michael und Niklas. Niklas Frank ist der letzte, der von den Geschwistern noch lebt. 1987 erscheint sein Buch «Der Vater. Eine Abrechnung». Schreiben wollte er es schon lange, seit Jahrzehnten, nun ist es soweit: «Weil ich immer zorniger wurde. Über das Schweigen hier in Deutschland, das ja bis heute anhält», sagt Niklas Frank. Er hat da mittlerweile zur Illustrierten STERN gewechselt, ist auch dort Kulturredakteur. Nun ist seine Geschichte dran, die eigene Geschichte. Er hat Urlaub angespart, nimmt sich Sonderurlaub, sitzt in einer kleinen Wohnung an einem kleinen Tisch, vor sich die ererbte Schreibmaschine seiner Mutter, Marke «Erika», auf der sie die Erinnerungen ihres Mannes abgetippt hat, die dieser noch in Nürnberg im Gefängnis schrieb: «Im Angesicht des Galgens.» Zuerst erscheint das Buch in einem regulären Verlag – und wird ein Flop. Dann druckt sie es im Selbstverlag nach, schreibt Hunderte von Industriellen, Pastoren und Priestern an: 250 000 deutsche Mark wird sie so verdienen. Der damalige Direktor der VW-Werke schenkt ihr zusätzlich einen VW-Käfer. Sie erscheinen 1953 im Selbstverlag, über 50 000 Mal wird das Buch verkauft, noch heute kann es antiquarisch erworben werden, der Preis schwankt derzeit zwischen 90 und 250 Euro. Damals hilft das Geld der Familie, Niklas Frank wird wie sein Bruder Michael auf ein Internat auf die Nordseeinsel Föhr geschickt, einen Teil der Kosten habe auch der «Freundeskreis Dr. Hans Frank» bezahlt. «Es gab in der Bundesrepublik einen ‹Freundeskreis Dr. Hans Frank›?», frage ich. «Natürlich», sagt Niklas Frank und nickt. Er weiss damals nicht, wie er sein Buch schreiben soll, wie der erste Satz sein soll, aber dann kommt er auf das «Du». «Dass ich ihn dauernd anrede, ihn anspreche, das war gut, das war toll», sagt er. «‹Ha, heute wieder schwere Schläge geführt gegen Dich›, das zu schreiben, da kam mir der Vater sehr nah», sagt er. «Der Vater mit all seiner Feigheit und all seinen Lügen, da habe ich natürlich auch eine Menge über mich gelernt, weil ich war ja selber auch ein Feigling», sagt Niklas Frank. Schnell schreibt er das Buch herunter, schreibt und schreibt, redigiert es danach hart: «So dass es vom Ton her und der Aussage noch schärfer wurde.» Er schreibt: «Als ich dein Totenfoto zum ersten Mal sah, war ich benommen. Jetzt kotzt es mich nur noch an, dein totes Gesicht, auf dem deine Lügen nicht mitstarben.» Er schreibt: «Das Knacken deines Genicks ersparte mir ein verkorkstes Leben, wie hättest du mir mit deinem Gewäsch das Leben vergiftet.» Und er schreibt: «Warum zieh ich dich verbal so in den Dreck? Es gibt mir so ein aufmüpfiges Gefühl. Ganz jung bin ich dann.» Vorab zum Buch erscheint im STERN die Serie «Mein Vater, der Nazimörder». Das Buch erregt Aufsehen, die Ablehnung ist gross. «Die Enttäuschung war, dass die ganzen Journalisten gegen mich waren. Das hat mich sehr verblüfft, denn ich dachte, die haben meine Art zu denken, aber da lag ich völlig falsch», sagt er rückblickend. Er sei zu weit gegangen, heisst es. So dürfe man als Sohn nicht über den Vater schreiben, ganz egal, was der Vater getan habe. Der Sohn sei ein Psychofall und gehöre auf die Couch. Nie hätte das veröffentlicht werden dürfen. Dabei übersieht man, dass Niklas Frank auf über 300 Seiten eine sehr präzise Biografie eines schwachen Menschen verfasst, der zum vielfachen Mörder wird – und der sein Vater ist. Das Tabu, dass der Sohn nicht öffentlich über den Vater berichten und dann richten darf, scheint allmächtig. Ein paar Jahre später druckt der STERN einen Auszug aus dem Buch «Schindlers Liste». Niklas Frank schreibt auch dafür die begleitende Reportage, reist dazu nach Krakau, er ist wieder in Polen: «Und da erwischst du dich doch dabei, wie du denkst: Da ist er langgefahren, und da ist er gewesen, dieser Dreckskerl!» Er braucht Fotos für den Buchauszug, Fotos für die Reportage, er besucht einen polnischen Fotografen, in den 80er-Lebensjahren ist der, er hatte zuzeiten der Besatzung ein Fotolabor, in dem die deutschen Soldaten ihre Fotos entwickeln liessen: «Er hat damals zusätzlich für die polnische Heimatarmee heimlich je einen Abzug gemacht, hat so ein Archiv aufgebaut, toll.» Hat es vor den Deutschen bewahren können, hat es absichtlich so unsystematisch geführt, dass es auch in der kommunistischen Zeit nicht entdeckt und ihm entzogen wurde. «Und da zeigte er plötzlich ein Bild von meinem Vater, er schaute das Foto an, ich stand hinter ihm, er konnte ganz gut Deutsch, und er sagte mit diesem schönen, polnischen Akzent: «Da steht er, der Halunke!» Und ich dachte: ‹Mensch, wenn Sie wüssten, wer jetzt hinter Ihnen steht!›» Andere haben sich anders entschieden. Wolf-Rüdiger Hess verweigert den Wehrdienst, solange sein Vater Rudolf Hess unrechtmässig in Spandau in Haft sei, er wird am Ende seines Lebens den Holocaust leugnen. Gudrun Himmler engagiert sich in der «Stillen Hilfe», einer bald rechtsextremen, durchaus finanzstarken Organisation, die sich um verurteilte und entsprechend inhaftierte NS-Funktionäre und Kriegsverbrecher kümmert. Bis zuletzt akzeptiert sie nicht den Selbstmord ihres Vaters, vielmehr habe man diesen nach seiner Festnahme ermordet. «Mit wem ich wirklich gut befreundet bin, das ist die Katrin Himmler, die Grossnichte vom Heinrich», sagt Niklas Frank. Neulich erst hätten sie gemeinsam aus ihren Büchern gelesen. Eine tolle Frau, ihr Buch über die Himmler-Familie sei wirklich gut, und sie habe später einen Juden geheiratet, wie er lachend erzählt. Nicht gelungen ist es Niklas Frank, mit Edda Göring zu sprechen, der Tochter von Hermann Göring: «Ich war immer hinter ihr her, die hätte mich sehr interessiert.» Was er über Umwege in Erfahrung bringen kann: Ihre Münchner Wohnung in einem normalen Wohnhaus ist bestückt mit Devotionalien ihres Vaters. «Das wäre auf Auktionen ein Vermögen wert gewesen, aber sie hat nie was verkauft, und das fand ich ganz enorm, weil – der ging es finanziell nicht gut», erzählt er. Von Beruf medizinische Helferin, sei ihr immer wieder gekündigt worden, sobald jemand erfuhr, wer sie war. Niklas Frank sagt: «Auch die Himmler-Kinder hatten es viel schwerer als ich.» Fast geklappt hätte eine Begegnung mit Martin Bormann junior, dem Sohn von Martin Bormann, der als Hitlers Sekretär galt, ein Treffen ist anberaumt: «Aber der hatte in der Zwischenzeit das Vaterbuch gelesen, wollte nicht mehr mit mir reden, ich könne ja nicht mal verzeihen – das fand ich dann auch ein bisschen piefig.» Und die Geschwister? «Wir haben uns oft getroffen und nach einem kurzen ‹Grüss Gott› sofort über den Vater gesprochen. Aber wir haben es nie zum Bruch kommen lassen, auch mit dem Michi nicht, obwohl der NPD-Mitglied war und mich mit einem öffentlichen Brief richtig bekämpft hat», sagt Niklas Frank, sagt: «Das haben wir gut gemacht. Aber wir hatten ein reizendes Kind, er hatte drei reizende Kinder.» Es gibt eine Szene, die Niklas Frank oft beschrieben hat, eine Urszene, die sein Glück wird: Da läuft er als recht kleines Kind um einen Tisch herum, dem Vater nach, immer ihm nach, der vor ihm davonläuft. Er will in seine Arme, aber der Vater ruft ihm zu: ‹Du bist doch der Fremdi!›, und dass er nicht zur Familie gehöre, eben fremd sei: Hans Frank hat seine Frau im Verdacht, dass sie ihm das Kind untergeschoben hat, dass es einer Liebschaft mit einem seiner Untergebenen entstammt. «Ich sehe mich mit einem Lätzchen, ich muss also vorher was gegessen haben, es muss noch jemand im Raum gewesen sein, ich kann mich nur nicht erinnern, wer, aber es war meine Rettung, denn ich konnte meinen Vater nie leiden», sagt Niklas Frank. Er zündet sich eine nächste Zigarette an, sagt: «Noch etwas weiss ich, aus einem Brief, den die Sigrid schrieb an den Vati im Gefängnis, da feiern wir einen Geburtstag von irgendeinem der Kinder, ich war es nicht, und da schrieb sie sehr nett: ‹Und mitten zwischen uns sitzt der kleine Niki mit seinen grossen Augen, wie immer stumm beobachtet er uns.›» Niklas Frank nickt mehrmals und sagt: «Das Beobachten habe ich wahnsinnig gern getan.» Gab es eigentlich eine Beerdigung? Niklas Frank schüttelt den Kopf. «Das haben die Amerikaner verhindert», sagt er. Und erzählt, was ihm erzählt wurde, was er recherchiert hat, über das Leben und das Ende seines Vaters und das der anderen Verurteilten: Die Gehängten seien aus der Turnhalle gebracht und auf einen Lastwagen gelegt worden, Soldaten mit Maschinenpistolen hätten die wartenden Journalisten davon abgehalten, mit ihren Autos dem Lkw zu folgen. Die Fahrt ging nach München, zum Ostfriedhof, zum Krematorium: «Da wurden die dann verbrannt und die Asche in den Conwentzbach gestreut, das ist so ein kleines Bacherl.» Durch Zufall war er da später mal drin, zusammen mit dem Sohn vom einstigen Pressechef seines Vaters, damals in Krakau haben sie zusammen gespielt, in Bayern trafen sich die Familien wieder: «Da sind wir beiden Kinder runter zum Krematorium, wir machten die Tür auf, niemand hielt uns ab, niemand störte uns, und da war ein riesiger, hell erleuchteter Saal, da lagen lauter Leichen: Ami-Soldaten, die anscheinend für den Weitertransport hergerichtet worden waren, das war ein irres Erlebnis.» Und draussen macht sich nun die Dämmerung auf den Weg, ich möchte noch den Vogelscheuchen-Mantel sehen, auch ein paar Schritte gehen vor der Autofahrt zurück, und im Aufstehen, die Zigarettenschachteln in der Hand, sein Vaterbuch auch, das er heute selbst verlegt und verkauft, erzählt er noch, dass er nichts auf Träume gebe, dass er beispielsweise Romane hasse, wo man dem Leser Träume erzählt. Aber – aber es ist fünf, sechs Jahre her, da hätte er folgenden Traum gehabt: «Ich gehe neben meinem Vater entlang. Ich klein, er gross. Und er trägt diesen Ledermantel, und ich habe ein ganz schlechtes Gewissen. Warum? Weil ich dieses Buch gegen meinen Vater geschrieben habe!» Und er lacht, und er drückt die nächste Zigarette aus, sagt: «Ich bin so wütend aufgewacht, wie noch nie in meinem Leben.» Er sagt: «Das ist die Stärke dieses Tabus, die ist auch bei mir, da kannst du rumschimpfen wie du willst.» Er sagt: «Das war mir eine Lehre, die mich sehr geärgert hat. |