«GEBT EIN PROZENT AN DIE KULTUR!»
Für Esther Widmer ist klar: Geld nur innerhalb der Familie weiterzuvererben ist falsch.
Die Geschäftsführerin der Stiftung Erbprozent will, dass wir ein Prozent unseres Nachlasses der Kultur versprechen.
Die Geschäftsführerin der Stiftung Erbprozent will, dass wir ein Prozent unseres Nachlasses der Kultur versprechen.
Interview: Anna PIeger, Illustration: Jonas Baumann
|
ERNST: Frau Widmer, «Erbe» ist ein mehrdeutiger Begriff. Was bedeutet er für Sie? Esther Widmer, Stiftung Erbprozent: Erben bedeutet für mich etwas geschenkt bekommen– und zwar ist es ein Geschenk, das man unverdient erhält. Aber man erbt auch Gewohnheiten, Krankheiten. Erben ist oft eine innerfamiliäre Angelegenheit. Und vor allem ein grosses materielles Erbe ist für viele Menschen nicht selten auch eine unglaubliche Bürde und Anstrengung. Viele Menschen tun sich sehr schwer, ein materielles Erbe anzunehmen. Doch alles in allem ist es für mich eben ein Geschenk, das man annimmt – und von dem man sich überlegt: Was möchte ich damit machen? Also pflegen Sie eher einen freudvollen Zugang zum Thema «Erbe»? Ja, man muss ein Erbe wirklich annehmen können, was für mich dann auch heisst, damit zu machen, was man will. Ich glaube, es ist ein grosses Problem bei Leuten, die erben, dass diese dann das Gefühl haben: Ich muss das im Sinne der Person, die mir das vererbt hat, behalten und verwalten. Und diese Vorstellung würde ich gerne aufbrechen wollen, damit man die Freiheit hat, sich zu überlegen: Was mache ich jetzt mit dem Geld – und wie verteile ich es? Oder: Was sind meine Werte? Wie will ich etwas weiterverschenken? Doch erben ist nicht nur etwas Schönes. Die materielle Übertragung setzt eine Zäsur voraus. Meistens ist das: der Tod. Ja, meistens erbt man, wenn jemand stirbt. Das macht es auch so schwer – und auch darum ist «erben» ein schwieriges Thema und ein grosses Tabu. Wenn man «erben» sagt, dann ist Tod mitgedacht. Man denkt nicht über das Erben nach, weil man auch nicht über das Sterben nachdenkt. Genau, sterben tun nur die anderen. Ich frage ich mich: Entsteht das Tabu, weil der Tod mit im Raum steht – oder ist das Tabu auch deswegen vorhanden, weil ererbtes Vermögen nicht selbst erarbeitetes Vermögen ist? Da treffen zwei Tabus aufeinander: «Geld» und «Tod». Und wenn ich sage, das sei ein Geschenk, das man annehmen sollte, dann finde ich natürlich schon, dass man sich überlegen muss: Was gebe ich davon weiter? Man sollte sich schon überlegen: Was sind meine Werte und an wen oder welche Organisation möchte ich etwas weiterverteilen? Geld gut verwalten kann ja auch bedeuten, in Kultur oder Klimaschutz oder andere Sachen zu investieren, die einem am Herz liegen. Wenn man erbt, ist es meines Erachtens eine Verpflichtung, sich Gedanken zu machen: Wohin gehe ich jetzt damit? Wir haben schon auch die Pflicht, das Vermögen nicht einfach in der Schublade zu behalten, damit man seinen Nachkommen wieder gleich viel oder noch mehr weitervererben kann. Trotzdem ist das in der Schweiz in den vergangenen Jahrzehnten anscheinend passiert. In den letzten zwanzig Jahren sollen sich die Erbschaften in der Schweiz ungefähr verdoppelt haben. Eine Studie des Büros Bass im Auftrag der «Tagesschau» ergab, dass im Jahr 2015 in der Schweiz rund 63 Milliarden Franken vererbt wurden. Das entspricht etwa zehn Prozent des Schweizer Bruttoinlandprodukts. Diese riesige Summe wird ungleich verteilt: Ganz wenige erben sehr viel, der Grossteil sehr wenig oder gar nichts. Wir sind jetzt die Generation, in der die Eltern schon sehr alt werden. Das ist eine neue Entwicklung, dass man so alt wird, und wenn man mit siebzig (was ja nicht ganz jung ist) aufhört zu arbeiten, dann ist nach zwanzig Jahren nicht mehr viel da an Vermögenswerten. Auf der anderen Seite gibt es einige wenige, die unglaublich hohe Summen vererben können. Ist erben also ungerecht? Ja, es ist ungerecht. Nur innerfamiliär vererben ist eigentlich nicht in Ordnung. Ich bin aber dezidiert dagegen zu sagen, man kann das korrigieren, indem man einfach eine Erbschaftssteuer einführt. Das ist zwar ein Mittel, mit dessen Hilfe sich einiges erreichen liesse. Aber: In einer gesunden, solidarischen Gesellschaft müsste es eben auch selbstverständlich sein, umzuverteilen. Meine Hoffnung ist im Moment, dass die Leute mit den Negativzinsen zum Nachdenken gebracht werden: Soll ich jetzt dafür zahlen, dass ich das Geld bei einer Bank hinterlegen kann, oder soll ich investieren, eben auch mit ein wenig Risiko. Viele Startups funktionieren ja mit sogenannten «Impact-Investments», bei dem einer sagt: «Okay, ich gebe für dieses oder jenes Projekt ein Startgeld.» Das ist für mich die positive Seite der Negativzinsen, dass sehr vermögende Leute anfangen könnten, sich zu überlegen: Wie spiele ich jetzt mit dem Geld? Die Lust aufs Sparen vergeht. Und warum nicht doch eine Erbschaftssteuer? In der Schweiz wurde die Erbschaftssteuer für nahe Angehörige in den meisten Kantonen abgeschafft. Deutschland kennt hohe Freibeträge und besteuert Ehegatten und Kinder mit sieben bis dreissig Prozent. Natürlich bin ich für eine Erbschaftssteuer. Es ist eine Variante, um Geld an die Gesellschaft zurückzugeben, das ist klar. Es gibt ja ein paar bekannte reiche Erben, die sich sehr dafür eingesetzt haben, dass die Erbschaftssteuer wieder kommt. Aber wie gesagt: Vor allem brauchen wir mehr Selbstverständlichkeit beim Umverteilen. Es ist also vor allem eine Haltungsfrage – und somit mehr als nur eine Frage des steuerlichen Zwangs. Das heutige Erbrecht favorisiert für den Pflichtteil leibliche Kinder und Ehegattinnen sowie eingetragene Partner. Sind keine Kinder oder Ehegatten vorhanden, geht das Erbe an die Eltern oder Grosseltern. Konkubinatspartnerinnen gehen laut gesetzlicher Erbfolge leer aus, für sie ist kein Pflichtteil vorgesehen. Ist dieses an einem bürgerlichen Familienbild orientierte System noch zeitgemäss? Der Pflichtteil macht nur einen kleinen Teil aus – und den Rest kann man immer noch anderen Personen verfügen. Aber es stimmt schon: Zeitgemäss ist das sicher nicht. Nicht zeitgemäss ist aber auch, wenn man sich gar nicht erst Gedanken darüber macht – wenn man das Sterben und Erben tabuisiert. Es gibt ganz viele Leute, die ihren Nachlass nicht geregelt haben, gerade auch solche mit etwas Geld und Patchworkfamilie. Eigentlich sollte es absolut selbstverständlich sein, dass jeder Mensch sich ein paar Gedanken macht über das eigene Erbe. Das hat für mich auch damit zu tun, Verantwortung zu übernehmen für sich als Mensch. Wenn man aus dem Nichts heraus stirbt, ist das eine Wahnsinnsherausforderung für alle Hinterbliebenen, und wenn gar nichts geregelt ist, ist das problematisch. Ich würde allen wünschen, dass man sich mit der Familie hinsetzt und darüber spricht oder sehr klar schriftlich festhält, was passieren soll. Oder dass man die Sachen schon zu Lebzeiten weitergibt, mit warmen Händen. Das ist mir ein Anliegen: dass man Freude bekommt am Verteilen. Für mich ist Vererben wirklich Verschenken, auch aus einer Freiheit heraus. Sich zu fragen: Was sind meine Werte, und was will ich weitergeben? Was bedeutet denn das, dass ich 100 000 Franken habe, die ich zu verschenken habe? Dann kann man ein starkes Statement abgeben, beispielsweise indem man einer Institution, die man für unterstützenswert hält, 20 000 Franken vermacht. Der Gründer der Drogeriekette «dm», Götz Werner, hat sein Unternehmen bewusst nicht seinen sieben Kindern vererbt, sondern seine Anteile in eine gemeinnützige Stiftung eingebracht. Sollten andere Unternehmer sich ihn zum Vorbild nehmen, um den Kindern die Chance zu geben, aus eigener Kraft etwas zu leisten und mehr zu sein als Erbe oder Erbin? Ja, das finde ich auf jeden Fall. Es gibt verschiedene Familien, die grosse Vermögen in Stiftungen oder Sammelstiftungen einbringen. Auf diese Art kann das Geld weiter zirkulieren. Denn es ist ein Problem, wenn die Milliarden, die jedes Jahr vererbt werden, blockiertes Geld sind. Und «ERBPROZENT» ist die Stiftung für alle, das heisst, hier können auch Nicht-Vermögende Kultur fördern – mit vielen kleinen Beiträgen kann hier die grösste Kulturstiftung der Schweiz entstehen. Während die privaten Vermögen, die vererbt werden, wachsen, wird die öffentliche Verschuldung in der Schweiz bis im Jahr 2020 um «nur» 2,3 Milliarden zurückgehen, auf circa 93,7 Milliarden, schätzt die Eidgenössische Finanzverwaltung. Ein privates Erbe, das das Risiko einer Verschuldung birgt, kann ich ausschlagen, aber für den öffentlichen Haushalt besteht diese Möglichkeit nicht. Bleiben zukünftige Generationen also auf öffentlichen Schulden sitzen? Hier würde eine Erbschaftssteuer sicher helfen. Ich bleibe dabei, dass eine gute Gesellschaft eine solidarische Gesellschaft ist, die auch an die Zukunft denkt. Und dass so viel Geld bei so wenigen Leuten liegt, ist nicht gut. Weiten wir den Begriff des Erbes etwas weiter aus. In der Diskussion über die Klimaerwärmung wirft die junge Generation, die finanziell zumindest in Mitteleuropa oft gut abgesichert ist, der älteren vor, zwar materiellen Wohlstand geschaffen zu haben, dies aber auf Kosten des ökologischen Gleichgewichts auf der Erde. Vererben wir zukünftigen Generationen einen kaputten Planeten und Probleme, die die kapitalistische Wachstumsideologie geschaffen und jahrzehntelang ignoriert hat? Ja, das ist eine Herausforderung für uns. Wir haben Jahrzehnte von Freiheit und auch Wohlstand und Sicherheit erleben dürfen, ein exzellentes Gesundheitswesen, eine halbwegs intakte Natur – und ich möchte nicht, dass die nächsten Generationen mit Überschwemmungen, Stürmen und anderen Katastrophen konfrontiert sind. Das zu verhindern muss ein grosses Anliegen sein und dafür müssen wir uns alle extrem umstellen. Unsere gewohnte Mobilität und unser Essverhalten sind nicht mehr zukunftsfähig. Unser Ziel muss sein, eine intakte Umwelt zu hinterlassen, so schwierig das auch sein mag. Sie sind Geschäftsführerin der Stiftung Erbprozent Kultur, die Menschen dazu anregt, ein Prozent ihres Vermögens Ihrer Stiftung zu vermachen, die das Geld für Kulturförderung einsetzt. Wie ist die Idee hierzu entstanden? Die Stiftung ist entstanden im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit Erben und Vererben unter den Gesichtspunkten der Umverteilung und des Generationenvertrags. Das alles im Bewusstsein, dass Kultur eine zentrale Rolle in der Gesellschaft spielt. Denn: Womit tröstet man sich? Ob man jetzt in die Kirche geht, Musik hört oder ein Buch liest, Trost findet man meist in der Kultur. Wenn Kultur zur menschlichen Grundversorgung gehört, dann haben wir eine bessere Welt. Der Gedanke ist: So wie man Altersvorsorge zahlt, zahlt man auch ein Prozent für Kultur. Und wenn alle dieses eine Prozent geben würden, dann gäbe das sehr viel Geld für Kulturförderung. Wie funktionieren die Stiftung und die Verteilung der Gelder an Kulturschaffende? Momentan fliessen hundert Prozent des Geldes aus Vor- oder Nachlässen in die Kulturförderung. Die Kosten für die Administration decken derzeit noch Anschubfinanzierungen von Kantonen und Stiftungen. Die Erbversprechenden treffen sich, wenn sie möchten, zweimal im Jahr an einem Forum und können mitbestimmen. An einem Forum besprachen die Versammelten, dass ab dem Jahr 2020 ein Teil des vererbten Vermögens für den Betrieb zur Seite gelegt wird. Für die längerfristige Finanzierung des Betriebs suchen wir aber noch Institutionen zur Zusammenarbeit. Die Vision der Stiftung ist, dass alle ein Erbversprechen für die Kultur machen, dass das eine zivilgesellschaftliche Bewegung gibt. Noch eine letzte, persönliche Frage: Was möchten Sie gerne weitergeben an die nächste Generation? Für mich ist wirklich wichtig, dass ich Werte weitervermitteln kann. Das gehört ja auch zum Erbe: Dass man eine gewisse Generosität hat, solidarisch ist, dass man füreinander schaut, nicht nur in der biologischen Familie, sondern auch in der gewählten. Dass sich die Alten und die Jungen umeinander kümmern und füreinander interessieren ist für mich ein wichtiger Wert, auch ein Statement, das ich weitergeben möchte. Anna Pieger hat ihr Erbversprechen für die Stiftung Erbprozent noch nicht unterschrieben. Wie so viele Kulturschaffende meint sie, nicht viel zu vererben zu haben. Schade eigentlich: Vielleicht ist ein Prozent der Lyrik in ihrer Schublade ja doch wertvoller, als sie denkt. ERBPROZENT KULTUR ist die Kulturstiftung der Zivilgesellschaft; ihre Stiftungsidee ist einfach und klar: Wer stirbt, überlässt ein Prozent seines Nachlasses den Kulturschaffenden. So kann sich jeder und jede für die Förderung der Kultur in der nächsten Generation einsetzen. Denn: Kultur verbindet. Und Kultur regt an. Drum mach mit: www.erbprozent.ch |