Erbgeschichten
Autorinnen und Autoren von ERNST und dem Burgdorfer Biografischen Institut BBI sammeln Geschichten über Tod, Versäumnisse, Streitereien und Liebe.
Protokolliert von: Hanne Junghans, Rita Weibel, Mechthild Greven, Frank Keil, Thomas Studer, Verena Singeisen und Ivo Knill
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Ein Garten auf Zeit
Eine Frau Ende Vierzig erzählt. Da sind Hühner. Und da sind Schildkröten. Und Blumen, hauptsächlich Blumen. Ich habe einen Garten geerbt. Ein Garten auf Zeit. Denn er gehört nicht mir, er gehört zum Haus, ich bearbeite ihn nur, bepflanze und pflege ihn, gestalte ihn. Wobei: Gestalten? Das hat natürlich seine Grenzen. Vieles ist vorgegeben, seit Jahren schon da. Was mache ich damit? Darf ich es ausreissen, etwas anderes pflanzen? Oder lass’ ich es einfach wie bis anhin weiterwachsen? Immer wieder stehe ich vor dieser Frage. Das grosse 1×1 Eine Frau aus Burgdorf erzählt. Eigentlich ist es geschenktes Geld, wenn man etwas erbt. Deshalb bin ich auch für die Erbschaftssteuer, auch wenn das Geld so zweimal versteuert wird. Denn es geht uns so gut. Es geht unserem Land besser als neunzig Prozent der anderen Länder, die es gibt. Ach, wahrscheinlich sind es mehr als neunzig Prozent. «Ich versuche den Erbvorgang sachlich zu sehen» Eine Frau wartet auf ein Testament. Meine Mutter ist vor zwei Wochen gestorben. Und nun – schwierig. Das Testament habe ich noch nicht bekommen; für mich soll Schmuck da sein – nur: Ist der noch vorhanden? Zu meinem Bruder habe ich keinen guten Kontakt. Also, ich habe einen Bruder, und ich habe keinen Bruder. Ich bin nun mal direkt und spreche an, wenn etwas ist – und er macht das nicht. Sondern: so hintenrum. Das Schlimme ist: Wir haben es nicht geschafft, das mit dem Erbe zu regeln, solange meine Mutter noch lebte. Es war mit ihr nicht möglich, es wurde dann lieber über etwas anderes geredet. Der kritische Punkt in der Familie ist doch – die Erbschaft. Da macht es – Woff! Und was mir auffällt: Es sind immer die Söhne. Ich habe noch nie davon gehört, dass es schwierig wird, wenn das Erbe von der Mutter allein auf die Tochter oder auf Töchter geht. Das ist doch krass. Das muss etwas mit der Erziehung der Mütter den Söhnen gegenüber zu tun haben. So erkläre ich mir das. Jedenfalls – ich rechne mal mit nichts, man sollte auch mit nichts rechnen. Ich versuche das sachlich zu sehen und nehme es so, wie es kommt. 3000 Franken ist Geld Ein 50-Jähriger erzählt. Als mein Vater gestorben ist, habe ich von ihm dreitausend Franken geerbt – den Rest haben wir entsorgt. Die Kette Eine 74-jährige Frau erzählt. Als meine Mutter merkte, dass sie nicht mehr lange leben würde, ging sie zum Schrank und holte eine Kette hervor. Sie wolle sie mir schenken – aber der Bruder dürfe davon nichts wissen Haarwuchs Ein 63-Jähriger erzählt. Nach dem Tod meines Stiefgrossvaters überreichte mir meine Grossmutter feierlich ein braunes Etui aus Hartplastik. Ich öffnete es: Ein Elektrorasierer der Marke Braun. Eben begannen, zu jener Zeit, meine ersten flaumigen Barthaare zu wachsen. Ich habe den Rasierapparat ausprobiert, war stolz, nicht irgendeinen billigen Rasierer verwenden zu müssen, sondern einen der renommierten Firma Braun, und war über das Resultat auch sehr zufrieden. Das Rasieren war für mich als junger Mann überhaupt etwas Entscheidendes. Auch die Pflege des Apparats lag mir am Herzen. So entfernte ich die Kappe des Rasierers und schüttete den Inhalt ins Lavabo-Becken. Und da lagen auf weissem Grund neben meinen feinen dünnen Flaumhaaren: die harten Haarstoppeln meines Stiefgrossvaters. Er war ein sehr strenger Mann. Ich weiss noch genau: Wir stritten, als ich meine Kopfhaare etwas länger wachsen lassen wollte. Ich vergammle, schimpfte er. Mehr Geschichten im neuen Heft. Mehr Infos zum BBI. |