Der Neue
Von der Lust und dem Leiden des Aufschiebens. »
Text: Frank Keil
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Ein ERNST-Heft, dass sich einem besonderen Thema widmet: der Prokrastination.
Also jetzt bitte die Lippen befeuchten, tief ein- und ausatmen, sich einen Ruck geben und laut aussprechen: „Pro-kras-tination!“ Mithin: Ich muss etwas erledigen, heute, jetzt gleich – es ist wichtig, wirklich. Aber ich kümmere mich nicht darum, ich mache lieber etwas anderes; ich schiebe auf. Auf morgen, übermorgen, nächste Woche. Aber dann! Oder auch nicht. Wir haben am Ende nicht prokrastiniert, sondern allerhand Menschen getroffen, die uns zu diesem Phänomen des Alltags wie der Welt etwas sagen konnten: Die Publizistin Kathrin Passig beschreibt im Interview, warum man nicht verzweifeln sollte, wenn man etwas auf seiner To-do-Liste partout nicht abarbeiten will, hat man es sich auch noch so vorgenommen: „Richtet man es sich geschickt ein, ist irgendwann alles erledigt.“ Ronald Hoffmann, Leiter der Studienberatung der Universität Hamburg, erzählt, welche verborgenen, familiendynamischen Motive dafür sorgen können, dass jemand etwa sein Studium nicht abschließen mag und warum Medizinstudenten nicht prokrastinieren: „Die lernen einfach.“ Ein Schüler, der gerade seinen Abschluss versemmelt hat, versucht zu beschreiben, wie es dazu kam, das er entgegen aller Vernunft nicht das erledigte, was er zu erledigen hatte – und wie er sich das für sich erklärt. Und nicht zuletzt spannt unser Essayist Ivo Knill einen Bogen vom nächtlichen Boxkampf zwischen Muhammed Ali und George Foreman am 30. Oktober 1974 in Kinshasa über ein Gespräch mit Freunden im Hotpot, Fieber bedingten Kopfschmerzen hin zu Übungen am Kontrabass: „Die Geschichte der Welt will nichts von mir. Es gibt ein Jetzt.“ Und auch: „Vielleicht hat alles Zögern, alles Aufschieben einen tieferen Grund.“ Und sonst? Wir haben Deutschlands einzigen kommunalen Männerbeauftragten besucht, und unser Gastautor Robert Ulmer fragt, ob der bekennende schwule Mann mit diesem Bekenntnis nicht paradoxerweise die Hetero-Normativität stützt. Der Reporter Karl Grünberg hat sich am Berliner Stadtrand auf einem Reha-Bauernhof für Süchtige umgeschaut, denen klar ist: Wenn sie jetzt noch einmal rückfällig werden, könnte es das gewesen sein mit ihrem Leben. Also: keine Drogen. Keine Zigaretten. Auch kein Internet. Und unsere Autorin Anna Pieger erzählt vom Ende einer Beziehung: „Als wir uns verabredet hatten, hatte ich gesagt, ich wolle dich nicht in einem Restaurant treffen, weil ich nicht in einem Restaurant heulen wolle.“ Sie treffen sich bei Burger King. Dazu Meldungen, Musik- und Buchtipps, ein Interview mit Hansjörg Schertenleib dabei; der Slam, ein wie immer schönes Abschlussfoto. Und noch vieles mehr. Eine runde Nummer, wieder, verlässlich. Zu der wir Sie und dich einladen. Übrigens: Wir sind mit diesem Heft, der Nummer #1/19 im dritten Jahr angekommen. Die Reise mit ERNST geht weiter. |