Zwischen
#Me-too und ich-nicht
Text: Reinhard Winter
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Männer wirken in der #MeTooDebatte seltsam ruhig. Schon sind deshalb Vorwürfe zu hören, flackern Empörungen auf. Ja, es ist still um die Männer in der #MeTooDebatte. Das ist aber auch kein Wunder, dafür gibt es Gründe. Je stiller die Männer, desto mehr.
#Medien-MeToo Sicher ist die #MeTooAktion eine Leistung und ein Fortschritt. Unerträgliche Zustände wurden offengelegt und angeprangert. Endlich. Allerdings ist es vor allem ein mediales Ereignis. Bei #MeToo geht es vordergründig um Sexismus, Übergriffe, Gewalt. Ohne die entsprechende An, Auf und Erregung liefe wohl nichts. Eine Mischung aus Macht, Sex und Emotionen lässt sich bestens verkaufen. #MeToo lebt vom Promifaktor. Interessant ist das, wenn die Beteiligten mehr oder weniger bekannt sind. Damit scheiden viele Männer schon mal aus: Es interessiert nicht, was sie erlebt haben oder darüber denken. Mediales Aufbauschen trägt nicht zu Dialogen und echter Auseinandersetzung bei. Und genau genommen gibt es gar keine Debatte mit mehreren Positionen, sondern nur eine Möglichkeit der Zustimmung und der empörten Abgrenzung vom Schlechten. Das ist nützlich, es schafft Zugehörigkeit zu den Guten, bringt Identität. Weshalb sollte sich ein Mann gefragt fühlen? In seiner Meinung keine Wahl zu haben ist nicht gerade förderlich für Reflexion und Kommunikation. Täter-Opfer-Muster Medien polarisieren. Durch #MeToo werden dadurch alte Muster bedient und verfestigt: Hier «der» Mann als verabscheuenswürdiger Triebtäter, da «die» Frau als bedauerns und schützenswertes Opfer. Verständlich, dass Männer kein Interesse daran haben, in einem erregtempörten Klima darauf hinzuweisen, dass solche Muster und Argumentationen recht schlicht daherkommen. Auf der anderen Seite ist es wenig ratsam, mit der eigenen Schuldseite, der aktiven Übergriffigkeit an die Öffentlichkeit zu gehen. Sicher wäre es schön, wenn jetzt reihenweise mächtige Männer dazu stehen würden und sagen: «Me too, ich bin oder ich war es auch!» VWManager und ERGOMitarbeiter könnten damit anfangen. Aber das ist nicht zu erwarten, schon aus juristischen Gründen nicht und aus abgrundtiefer Angst vor den Folgen. Die aufgeregte Lüsternheit der medialen #MeTooVerarbeitung hängt mit einer Reizaufladung durch Macht und Sex zusammen. Das gibt es ja nicht nur in der SadoMasoSzene (wo jedes Risiko im Vorfeld geregelt wegkultiviert wird). Welcher Mann könnte sich erlauben zu sagen: «Oh ja, die Vorstellung macht mich geil, mit meiner Macht Frauen zum Sex zu bringen oder zu zwingen?» (Und welche Frau gäbe gern zu, durch Männer mit Macht oder durch Unterwerfung scharf zu werden?) Einerseits steckt in diesen Zusammenhängen Anregendes und Faszinierendes für einen Teil der Menschen aller Geschlechter. Andererseits liegt hier die Grenzüberschreitung nahe. Über solche Gefahrenzonen offen reden zu können ist für viele Männer (und Frauen) zu heikel. Nebenschauplätze Manche Männer scheinen sich tatsächlich über eine Art Generalverdacht zu ärgern. Sie empören sich ihrerseits – nicht über die Gründe für #MeToo, sondern über Verallgemeinerungen, die sie treffen könnten. Das halte ich für einen Nebenschauplatz, einen aufgeblasenen Popanz, zumal die Generalisierung ja kaum wirklich formuliert wird. Es ist mehr eine Stimmung, die manche Männer zwischen den #MeTooZeilen wahrzunehmen glauben. Dahinter verbergen sich Ängste und Unsicherheiten, die es in sich haben. Männer vermeiden es, sie wahrzunehmen und Stellung zu beziehen. Immer wieder ist zu hören, Männer seien durch #MeToo richtiggehend verunsichert. Davon ist im wirklichen Leben wenig zu sehen, wahrscheinlich deshalb, weil es im Männlichen nur wenig Sicheres gibt. Verunsicherung wird zum Männlichsein ja immer gratis hinzu geliefert, oder anders gesagt: Verunsichert sind Männer schon lange und sowieso. Im gesellschaftlichen Wandel werden (auch) Geschlechter umgewälzt, Irritationen sind dabei sowas von normal. Manche Männer bewältigen dies durch Masken demonstrativer Sicherheit und Stabilität, andere lassen es mehr an sich ran oder stellen sich der Entwicklungsdynamik. Das ist wirklich nichts Neues. Genauso wenig, wie #MeToo die Menge dummer Anmache verringern wird, ist die Debatte dafür geeignet, sichere Männer zu verunsichern oder auch, ohnehin verunsicherte Männer sicherer zu machen. Trittbrettfahrer Wenn sich Männer an die #MeTooStimmung anhängen, wirkt das schnell irgendwie peinlich. Männer, die sich als Opfer sexueller Gewalt outen, wirken wie Trittbrettfahrer. Für Frauen ist das Anhängen zulässig, für Männer aber nicht, weil #MeToo nun mal ein Debattenrevier darstellt, das von Frauen initiiert wurde. Ausserdem würden Opfermänner am bekannten Muster «Mann Täter, Frau Opfer» kratzen, und das wollen viele dann doch nicht. Auf anderen Trittbrettern stehen edle Männer, Beschützer aller Frauen, die sich betont sauber geben: «Ich mache sowas nicht, ich bin korrekt, ich bin ein guter Mann.» Ich halte wenig von Beteuerungen braver Männer, die sich von etwas distanzieren, was normativ ohnehin klar ist. Und den demonstrativen Saubermännern ist nicht zu trauen, egal ob männer oder friedensbewegt, politisch oder religiös. Ehrlicher ist es, wenn Männer ihre Abgründe und Schattenseiten kennen, sie benennen und mit ihnen umgehen können. Dafür taugen öffentliche Lautsprecher allerdings nicht. Und überhaupt: Wer kann garantieren, selbst eine reinweisse Weste zu haben? #MeToo zeigt ja auch, dass längst vergangene Übergriffe und Gewalttaten unverhofft ans Licht kommen können. Die meisten Männer müssen befürchten, dass sich jemand an unschöne Dinge erinnert. An ein Fehlverhalten, das sie vergessen oder wohlweislich verdrängt haben. Manche Männer schweigen aus Angst davor, genannt oder entdeckt zu werden. Gewiss, bei den allermeisten wird es sich dabei nicht um solche Kaliber wie langjähriger Machtmissbrauch, erzwungener Sex oder Vergewaltigung handeln. Weil in der Diskussion von der verkorksten Anmache bis zur Vergewaltigung alles in einen Topf geworfen wird, steigt aber subtil ein Entdeckungsrisiko. Auch kleinere Vergehen könnten ans Tageslicht kommen (Verjährung ist medial nicht vorgesehen): Schlimm genug, besonders skandalös wäre es aber, wenn der frühere Täter sich kürzlich erst empörtempathisch solidarisch mit Frauen geäussert hätte. Also: Besser nichts sagen. Keine Ahnung Noch eine Stufe tiefer verbergen sich unter der Oberfläche des männlichen Schweigens halb oder unbewusste Abgründe. Das Opferthema lässt viele Männer zweifach zurückschrecken. Opfersein ist in traditionellen Männlichkeitskonzepten nicht enthalten. Über das eigene Opfersein zum Handeln oder Reden zu kommen und sich in die Debatte einzuhängen ist dadurch erschwert. Gleichzeitig ist die Fähigkeit zum echten Mitgefühl mit Opfern generell schwierig, wenn Männer eigene Opferseiten ausblenden und unterdrücken müssen. Auf der anderen, der Täterseite, verbergen sich Gefühle von Scham und Schuld, anderen Menschen Leid zugefügt zu haben. Solche Gefühle können – weit vor einem tatsächlichen Gewalthandeln – auch dort auftauchen, wo Männer mit sexuellen Machtphantasien leben. Sich hier öffentlich zu positionieren, Verantwortung zu übernehmen, ist schwierig. Leichter scheint es, zu schweigen. Ebenso ist es für Männer problematisch, dass sie durch sexuelle Gewalt indirekt mit ihrer eigenen Bedürftigkeit konfrontiert werden. Warum müssen sich Männer eigentlich etwas mit Gewalt holen? Weil sie abhängig, sehnsüchtig, angewiesen auf etwas sind, was mit dem weiblichen Körper zusammenhängt und was nur Frauen (heterosexuellen) Männern gewähren können (dass viele Frauen in der Sexualität selbst auch etwas wollen und dies deshalb auch gern tun, fällt hier nicht ins Gewicht, es zählt die empfundene Abhängigkeit). Männer, zumindest heterosexuelle, sexuell aktive Männer sind darauf angewiesen, wie auch alle Gesellschaften auf den weiblichen Körper angewiesen sind, weil sie sonst aussterben. Abhängig, bedürftig oder angewiesen zu sein mögen viele Männer nicht, weil es Bildern männlicher Überlegenheit widerspricht. Sicher trägt ein verklemmter Umgang mit dem Sexuellen überhaupt, mit der Unfähigkeit, über Begehren, Lust und Geilheit zu reden, erheblich zum Schweigen der Männer bei. Verschärft wird die Konstellation durch die Abwertung oder Tabuisierung von Homosexualität und Selbstbefriedigung, in der Kurzfassung: Männer können oder dürfen sich ihre Sexualität nicht selbst geben, sie brauchen deshalb Frauen. Dieser Komplex sexueller Bedürftigkeit und Abhängigkeit kann Männern die Sprache verschlagen. Sehr heikel ist die Frage nach der (Mit)Konstruktion von Weiblichkeit über das Opfersein. Könnte es sein, dass sich Weiblichkeit aus dem Opferstatus nährt? Dann müsste darüber gesprochen werden, welchen Weiblichkeitsbonus Frauen im #MeTooMechanismus bekommen, ein Kollateralnutzen gewissermassen. Der Hype und die Aufladung in der #MeTooLandschaft lassen vermuten, dass es neben der berechtigten Empörung und dem Wehren gegen männliche Übergriffe verdeckt womöglich auch um die Rekonstruktion von Weiblichkeit über das Opfersein geht. Darüber sollten Männer besser nicht reden, sie bewegen sich auf vermintem Gelände. Schon darüber nachzudenken scheint riskant, geschweige denn das Reden. Also ist Schweigen Gold für den Mann. #MeToo – Ja, wir müssen reden Sicher ist es gut, wenn Männer reden. Aber nicht unbedingt öffentlich und medial polarisierend, nicht als Betroffenheitsdemonstranten, auch nicht mit medientauglichen CowboyStatements. Das wird eher im kleineren und geschützten Rahmen passieren, persönlich, mit Frauen und mit Männern. Wenn sich Männer äussern wollten und sollten, geht es darum, das Eigene zu finden und aktiv mitzubestimmen, worüber sie reden, über welche Seiten der Angelegenheit: Über die Arbeitsteilung beim Verführen, über Rollenverteilungen in der Sexualität; über Spielarten und Grauzonen, die am Übergang zur Gewalt liegen; über Grenzen, die überschritten werden dürfen und sollen und über rote Linien, die fix sind; über Befürchtungen, wegen sexueller Übergriffe zu Unrecht angeschwärzt und über die, zu Recht angeklagt zu werden; über Gewalt, Übergriffe, Fehltritte und Verstrickungen, über Bedauerliches in der Biografie, über Kompetenzen, die nötig sind, um Vorkommnisse zu verhindern, die beschämend oder bedrohlich werden können; über Begehren und sexuelle Phantasien, auch die, die von Dominanz und Unterwerfung handeln, über guten Sex und die Wege, wie es dazu kommt. Wenn solche Gespräche in Gang kommen, hat der Medienhype etwas gebracht: Danke, #MeToo. |