Scham
Warum hast Du dich nicht gewehrt?
In der Schweiz ist jedes vierte Opfer häuslicher Gewalt männlich. Auf Besuch in einem von drei Männerhäusern der Schweiz.»
Text und Bild: Klaus Petrus
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Irgendwann hörte Daniel L.*, Mitte vierzig und Elektriker von Beruf, auf, mit seinen Kumpels darüber zu reden. Der eine sagte bloss, sei doch froh, dann liebt sie dich noch, der andere scherzte, vielleicht solltest in ein Haus für geschlagene Männer, ein dritter murrte, der würd‘ ich’s aber zeigen. Auch sein bester Freund, eher en passant und ein wenig beschämt, meinte: Kannst du dich denn nicht wehren?
Nein, dachte Daniel, kann ich nicht. Will ich nicht. Oder sollte ich? Obschon in der Öffentlichkeit kaum darüber geredet wird: Daniel L. ist kein Einzelfall. In der Schweiz ist jedes vierte Opfer häuslicher Gewalt männlich. Was die wenigen Statistiken, die bisher vorliegen, auch zeigen: In den meisten Fällen ist psychische Gewalt wie Erniedrigung, Drohung oder Erpressung im Spiel, ausgelöst etwa durch eine krankhafte Eifersucht der Ehefrau, wie in Daniels Fall. Und wie in Daniels Fall fühlen sich die betroffenen Männer oft als Versager, weil sie nicht das darstellen, was die Gesellschaft offenbar von ihnen erwartet: richtige Kerle, die sich wehren können, und nicht solche Memmen, die alles über sich ergehen lassen. Tatsächlich entspricht das Bild des Mannes als Opfer von Gewalt, die von Frauen ausgeht, in unserer Gesellschaft nicht dem herkömmlichen Rollenverständnis – genauso wenig wie dasjenige der Frau als Gewalttäterin. Darin sieht Sieglinde Kliemen denn auch eine der grossen Hürden in der Bewältigung dieser Art der häuslichen Gewalt. «Die betroffenen Männer fühlen sich häufig gar nicht ernstgenommen, sie werden sogar verhöhnt. Auch deshalb getrauen sie sich nicht, ihre Erfahrungen anderen mitzuteilen oder Hilfe aufzusuchen.» Kliemen ist seit Juli vergangenen Jahres Leiterin des Männerhauses «Zwüschehalt» in Bern. Während es in Deutschland mittlerweile schon einige solche Einrichtungen gibt, ist hierzulande das Berner Männerhaus nach Luzern und Aargau erst die dritte Institution dieser Art. Das stattliche Gebäude der Gesamtkirchgemeinde Bern bietet auf zwei Stockwerken vorübergehend Platz für zwölf gewaltbetroffene Männer, mit eigenen Zimmern, einem Aufenthaltsraum, einer Küche und einem Garten. Zum Schutz der Betroffenen wird die Adresse geheim gehalten. Auch Daniel L. war anfangs Jahr für einige Wochen dort. Tagsüber ging er, wie normal, zur Arbeit, die Abende verbrachte er im Männerhaus und redete mit Sieglinde Kliemen oder anderen Männern im Haus über seine Situation. Die meiste Zeit aber war er auf dem Zimmer und wollte einfach seine Ruhe. «Ich kam hier an und von mir fiel eine tonnenschwere Last, ich war tagelang erschöpft. Als ich mich dann langsam erholte, wollte ich nicht die ganze Zeit Probleme wälzen, ich sehnte mich zuerst wieder einmal nach Normalität.» Genau dafür sei der «Zwüschehalt» der richtige Ort, sagt Kliemen. Oft seien die Männer, die bei ihr anrufen, einfach erschöpft, sie wüssten nicht weiter, hätten keine Perspektive mehr. «Es geht zuerst darum, sich wieder in Sicherheit zu fühlen.» Sicherheit, Ruhe und Anonymität – dies sind die Grundpfeiler des Männerhauses. Darüber hinaus werden die Betroffenen in ihrem Alltag begleitet und beraten. Je nach Situation müssen die Männer nämlich mit Ämtern reden, wie etwa bei einer Scheidung, die eingereicht wird, was oft viel Papierarbeit und Energie erfordert. Oder sie müssen sich, sofern sie Anzeige erstatten wollen, mit den Behörden in Verbindung setzen. Nach dem Grad der Betreuung richtet sich denn auch der Tarif für die Unterkunft im Männerhaus, der zwischen 35 und 120 Franken pro Nacht liegt. Bei diesem doch niederschwelligen Angebot ist das Haus auf Spenden angewiesen, um die Miete, den Unterhalt und das Personal zu bezahlen. Öffentliche Gelder erhält der Trägerverein «Zwüschehalt», dem die gleichnamigen Männerhäuser in Bern, Luzern und Aargau angehören, bisher nicht. Manchmal bringen die Männer auch ihre Kinder mit, weshalb die KESB Kindes- und Erwachsenenschutz-Behörde eingeschaltet werden muss. Im Gegensatz zu anderen Männerhäusern nimmt der «Zwüschehalt» auch Väter auf, sofern diese das Obhutsrecht für ihre Kinder haben. Auch Daniel L. kam mit seiner Tochter Julia* in das – wie es eben korrekterweise heisst – Männer- und Väterhaus. Er fürchtete, seine Frau würde Julia etwas antun. Zweimal habe sie in ihrer Wut gedroht, sich selbst und das Kind umzubringen, und das habe er ernst genommen. Weil seine Ehefrau immer mehr Kontrolle über sein Leben hatte – sie überwachte sein Handy, seine E-Mails, sein gesamtes soziales Umfeld –, plante er den Weggang aus der gemeinsamen Wohnung bis ins letzte Detail. Nachdem er schon wochenlang mit der Dargebotenen Hand, dem Sorgentelefon 143, in Verbindung stand, packte er am Tag X die Koffer mitsamt Reisepässen, brachte seine Frau zur Arbeit und fuhr, ohne jede weitere Nachricht, ins Männerhaus. Dort angekommen, meldete er sich bei seiner Frau, was zu grossem Aufruhr führte, denn diese hatte bereits eine Vermisstenmeldung aufgegeben. Am Ende war die Polizei involviert, die Opferhilfe, Anwälte, das ganze Programm also. «Das war ein Fehler, denn unserer Beziehung hat das bestimmt nicht gutgetan.» Ja, sagt Sieglinde Kliemen, fast immer reagieren die Frauen heftig, wenn ihre Männer im «Zwüschehalt» Schutz suchen. Was auch damit zu tun habe, dass in gewaltgefährdeten Beziehungen häufig krasse Abhängigkeiten bestünden. Tatsächlich trennen sich die meisten Männer nur vorübergehend von ihren Partnerinnen oder Familien – zumindest für jene Männer wird der «Zwüschehalt» somit tatsächlich bloss zu einem Zwischenhalt auf ihrem Weg zurück in die Beziehung. Umso wichtiger, sagt Kliemen, sei die Auseinandersetzung mit Mustern, die sich in Beziehungen festsetzen. Das sei ein Stück weit zwar normal, könne aber zu problematischen Ausprägungen führen – und eben oft auch zu Gewaltausbrüchen, physisch wie psychisch. In solchen Fällen sei eine gewisse Distanz unabdingbar: «Solange die Betroffenen, ob nun die Männer oder ihre Frauen, emotional noch stark involviert sind, ist es schwierig für sie, zu kooperieren. Stattdessen versuchen sie sich abzugrenzen oder zu wehren und geraten so in die alten Machtspiele. Und jeder weiss: Macht entsteht letztlich aus Ohnmacht.» Auch Daniel S. kehrte mit Tochter Julia nach wenigen Wochen zu seiner Frau zurück. «Für uns war das alles ein riesiger Schock, da realisierten wir: wir wollen doch eigentlich gar nicht die Trennung, wir wollen uns!» In der ersten Zeit hätten sie viel geredet, seien aufeinander eingegangen, das habe ihm Hoffnung gemacht. Und doch, sagt Daniel rückblickend, sei er im Grunde immer skeptisch geblieben und habe damit gerechnet, dass sie in die alten Muster zurückfallen: seine Frau, die sich in ihre Eifersuchtsattacken hineinsteigert und Daniel nächtelang verhört, und er, der sich zurückzieht, sich abkapselt, alles über sich ergehen lässt. Manchmal macht sich Daniel deswegen Vorwürfe. «Vielleicht müsste ich mich einfach mehr wehren.» Schon immer hätten die Anderen auf ihm herumgetrampelt. In der Schule habe man ihn regelmässig vermöbelt, im Militär sei er mit Maschinenfett eingeschmiert worden, und seine erste Frau, manisch-depressiv, habe ihn regelrecht geplagt. «Irgendwie ziehe ich das an». Daniel sollte recht behalten. Schon wenige Wochen später fing seine Frau wieder damit an, seine E-Mails zu durchstöbern und ihn mit ihren stundenlangen Fragen wach zu halten. Als er zu ihr sagte: «Deine Kontrolle zerstört mein Vertrauen, nimm dich in Acht, sonst bin ich endgültig weg», und sie daraufhin bloss meinte: «Typisch, beim erstbesten Streit suchst du das Weite, du Versager», da schrie er sie an: «Jetzt halt du mal den Mund!» Nein, beteuert Daniel S., zugeschlagen habe er nie. «Diesen Gefallen werde ich meiner Frau nicht tun, ich würde mich damit doch bloss auf ihr Niveau herab begeben, niemals.» Was nicht immer leicht sei, wie Sieglinde Kliemen sagt. «Gewalt provoziert oft genug Gegengewalt – und das ist immer eine schlechte Lösung». So beruhen, statistisch gesehen, siebzig Prozent aller Fälle von häuslicher Gewalt auf gegenseitiger Gewalt. Schon deswegen greife die strikte Unterscheidung zwischen Opfer und Täter viel zu kurz, und zwar sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen. Zwar arbeitet die Verwaltung oder Polizei mit diesen Kategorien, weswegen Kliemen zwar nicht in der Betreuung, aber in ihrer administrativen Tätigkeit oft gezwungen ist, die betroffenen Menschen entweder den Opfern oder aber den Tätern zuzuteilen. Die Wirklichkeit sei aber viel komplexer. «So werden zum Beispiel Männer dadurch zum Täter, dass sie sich gegen die Gewalt ihrer Frauen zur Wehr setzen. Was fatale Folgen haben kann, denn selbst im Falle gegenseitiger Gewalt wird die Frau grundsätzlich als schutzbedürftiger eingestuft als der Mann.» Am Ende, sagt Kliemen, ist nur der Einzelfall entscheidend. Das stört sie auch an Debatten wie #metoo. Ohne Zweifel würden damit wichtige und auch notwendige Diskussionen angestossen. Doch bestehe auch die Gefahr, dass die einseitige und oft eben auch unzulässige Dichotomie zwischen Opfern und Tätern zusätzlich zementiert werde. Er habe es wirklich versucht, sagt Daniel. Doch seine Frau habe nicht lockergelassen und immer weiter gebohrt. Wieder einmal wurde sie zerfressen von dieser Eifersucht. Dann wurde ihm eng auf der Brust, er bekam fast keine Luft mehr, musste erbrechen, konnte nicht mehr schlafen. Und so kehrte Daniel S. wieder ins Männerhaus zurück. Für wie lange, das weiss er nicht: «Ich liebe meine Frau, mit unverminderter Stärke liebe ich sie. Aber nicht dieses Monster in ihr.» *Name der Redaktion bekannt. Das Angebot des ZwüscheHalts richtet sich an Männer die physische, psychische oder sexuelle Misshandlung erleben mussten. Junge Männer, die von Vater oder Mutter bedroht werden, finden im Männerhaus genauso ihren Platz, wie Männer, die nach einer häuslichen Auseinandersetzung mit der Ehefrau die gemeinsame Wohnung verlassen müssen. Sie können im ZwüscheHalt eine wichtige Auszeit vom Alltag nehmen. www.zwueschehalt.ch |