Genderstudies
«Männer dürfen nicht ehrlich sein»
Wieso sich die Familienpolitik von der Geschlechterpolitik emanzipieren sollte, wieso das egalitäre Modell nicht für jede Familie das Beste ist – und wieso die Männer allzu oft auf Tollpatsch machen, erklärt die Pädagogin und Wissenschaftlerin Margrit Stamm. »
Interview: Frank Keil
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ERNST: Im Moment gilt die egalitäre Partnerschaft als das Allheilmittel für ein gelungenes Familienleben. Sie sind da skeptisch. Warum?
Margrit Stamm: Meine Skepsis basiert auf Erkenntnissen aus unseren Forschungen, vor allem auf einer Studie, in der wir verschiedene Vätertypen eruiert haben, und einer der Vätertypen ist in der Tat ein so genannter egalitärer Vater. Aber es gibt einen anderen, sehr interessanten Typen, der ein relativ traditioneller Vater und vollzeitberufstätig ist, aber eine gute Beziehung lebt. Er wird von seiner Partnerin in seinem Modell unterstützt und sorgt sich enorm um die Kinder. Ich bin überzeugt, dass die Diskussion viel zu sehr den egalitären Vater, den Teilzeitvater in den Mittelpunkt stellt, ohne weiter zu hinterfragen, ob er wirklich immer der ideale Vater ist. In unserer Forschung zeigt sich, dass das egalitäre Modell für einen Teil der Väter ein gutes ist, aber lange nicht für alle. Sie wenden sich auch sehr gegen den Automatismus, dass ein Vater, der zuhause ist, automatisch als ein guter Vater angesehen wird. Genau! Man muss sich getrauen, da genauer hinzuschauen. In unserer Studie haben wir die Väter genau gefragt, was sie machen. Sie haben eine Woche genau Protokoll geführt, und da zeigt sich eben teilweise, dass Teilzeitväter zwar zu Hause sind, aber dann etwa einen selbstständigen Job haben, dass sie Freiberufler sind und dann relativ viel anderes tun in der Zeit, in der sie die Kinder eigentlich betreuen sollen; dass die Kinder also eher nebenherlaufen, wenn sie zuhause sind. Währenddem gibt es den Typ des Vollzeitvaters, der sich eben hineinhängt am Abend, hineinhängt am Wochenende, der mal alleine eine Woche mit den Kindern in die Ferien geht und ähnliches. Ich glaube, da muss man versuchen genauer hinzuschauen und nicht nur das egalitäre Familien- und Berufsmodell a priori als das einzig wahre ansehen. Mein Einwand wäre jetzt: Beziehungen brauchen ja dennoch Zeit, oder? Das stimmt natürlich schon, aber es gibt ja auch Paare, denen das irgendwie gelingt. Es kann gelingen, wenn etwa die Partnerin teilzeitarbeitet und von der Haushaltsarbeit, die bei egalitären Paaren egalitär aufgeteilt wird, mehr übernimmt. Und letzteres finde ich eigentlich logisch. Es ist logisch, dass eben der Vater, wenn er abends von der Arbeit kommt, dann nicht noch helfen muss, Geschirr abzuwaschen oder die Wäsche zu trocknen und zusammenzulegen, sondern sich dann tatsächlich den Kindern widmen kann. Das sagen übrigens fast alle Väter in unserer Studie, dass ihre Hauptmotivation, sich mehr in der Familie zu engagieren, die Kinder sind. Zusammensein mit den Kindern kann für die Väter, wenn sie nach einem stressigen Arbeitstag nach Hause kommen, eine schöne, neue Welt sein, die sie entlastet und auch ablenkt von den beruflichen Sorgen. Sie beschäftigen sich sehr mit der öffentlichen Debatte, die um die so genannten Neuen Väter kreist. Haben Väter und damit Männer ein Vermittlungsproblem? Die oft mit eingezogenen Schultern durch die Gegend laufen und zu sich sagen „eigentlich müsste ich noch viel mehr machen“? Ich habe in einem Aufsatz für die NZZ mal von den Männern als dem schweigenden Geschlecht geschrieben. Das deutet in die Richtung, die Sie jetzt erwähnen. Viele Männer, glaube ich, sind sehr verunsichert. Nicht nur Väter, auch junge Männer, ich sehe das auch bei meinen jungen Mitarbeitern. Sie sind verunsichert ob der ganzen Debatte, die Frauen wirken stark, sie haben das Sagen, und ein Mann weiss nicht, wie er sich wirklich bewegen soll in der Gesellschaft, wie er sich darstellen soll, wie er mit Frau und Kind und Freunden umgehen soll, das ist ja alles andere als klar. Ich denke, dass sich Väter wie Sie sagen, etwas zurückhalten und teilweise auch nicht ehrlich sind. Viele Väter sagen das bei uns in den Interviews so ganz zwischendurch, wenn das Mikrofon abgestellt ist, nicht alle natürlich, aber einige, man muss immer aufpassen, dass man nicht generalisiert, sie sagen: dass ihnen eigentlich ein Tag zuhause vollkommen reiche; dass sie nicht längere Zeit zuhause sein möchten. Weil das viel zu anstrengend sei und auch zu langweilig. Aber Männer dürfen ja nicht ehrlich sein! Wenn Männer das offiziell sagen würden, würde das einen Sturm im Wasserglas auslösen: Weil die Mütter müssen ja diese Arbeit übernehmen, und die Männern können sich so mit Schweigen auch etwas aussen vor halten. Anstrengend und langweilig: Ich erinnere mich daran, dass ich als Vater lange nicht mit dem Gefühl der gleichzeitigen Überforderung wie Unterforderung klarkam. Das ist mir persönlich selbst auch so gegangen, ich war ja acht Jahre ausschliesslich Hausfrau, also Vollzeitmutter. Das ist ein schmaler Grat zwischen Überforderung und Unterforderung. Eine Überforderung ist es, etwa wenn beide Kindern krank sind, so wie es eine Unterforderung ist, wenn alles gut läuft, wenn man draussen auf dem Spielplatz ist. Was Väter übrigens oft erzählen, dass sie auf dem Spielplatz Aussenseiter sind, das ist für viele Väter ein Problem, aber natürlich auch für Frauen, wenn sie zwei, drei Tage die Woche arbeiten. Was Sie immer wieder einfordern: Frauen sollten etwas von ihrer familiären Macht abgeben. Dass sie diese Macht haben, ist das eine Art indirekte Rache, dass ihnen so oft ein Vorwärtskommen in der Berufswelt und in der Öffentlichkeit verwehrt wird? Ein interessanter Gedanke, und ich kann mir vorstellen, dass das bei einigen Frauen zutrifft. Eigentlich würde ich, wieder bezogen auf unsere Daten, anders argumentieren: Zuerst muss ich ganz klar sagen und feststellen, dass ich ja nicht sage oder dafür plädiere, dass alle Mütter jetzt ihre Macht abgeben müssen. Sondern wir haben einen Vatertyp, der ganz klar so identifiziert werden kann, dass er eine Partnerin hat, die sehr kontrollierend ist, die ihn sehr stark in Richtung Juniorpartner drängt, und damit ist verbunden, dass er sich sehr zurückzieht. Einer der Gründe, warum Frauen diese, Sie sagen Macht, ich sage Definitionsmacht haben, ist die tief verankerte gesellschaftliche Überzeugung, dass die Frauen die besseren, die geeigneteren fürsorglichen Personen sind. Gewiss: Frauen werden und sind schwanger, sie gebären das Kind, sie sind am Anfang viel mehr mit dem Kind zusammen, weil sie es in der Regel stillen, aber wir wissen aus der Bindungsforschung sehr gut, dass Väter genauso fürsorglich sein und für das Kind da sein können, einfach auf eine etwas andere Art. Das ist eine Sozialisationsfrage. Das dominante Mutterideal und die daraus resultierende intensive Mutterschaft basieren auf einer Annahme der angeborenen Weiblichkeit oder Mütterlichkeit. Es gibt sozusagen eine Entsprechung, die Sie immer wieder thematisieren: „die gelernte Hilflosigkeit der Männer“. Ich fühle mich da durchaus ertappt. Ich spreche wenigstens teilweise aus eigener Erfahrung. Ich bin ja mit einem Partner zusammen, mit dem ich auch die Kinder bekommen habe, und wir haben das alles irgendwo am Rande auch durchlebt. Es gibt ja immer wieder das Modell, dass Frauen ihren Freundinnen erzählen: Weisst du, mein Partner, der möchte sich wirklich engagieren, aber der hat einfach zwei linke Hände, und was er in die Hand nimmt, das gelingt ihm einfach nicht. Und ich habe nie die Zeit, ihm zu zeigen, wie das wirklich geht. Deshalb mache ich das lieber selber. Und die Männer flüchten dann darin – und beachten Sie bitte, dass ein Teil der Männer gemeint ist –, dass man sich eine Art Hilflosigkeit, eine Tollpatschigkeit aneignet, damit man legitimieren kann, warum man jetzt nicht mehr tut in der Familie. Ich möchte den Bogen noch mal weiter spannen und Ihren Slogan aufgreifen: Familienpolitik muss sich von Frauenpolitik emanzipieren und muss die Männer gleichberechtigt mitnehmen. Ich denke, es ist in Deutschland und Österreich ähnlich wie in der Schweiz, dass die Gleichstellungsbemühungen der letzten zwanzig, dreissig Jahre – man sieht das auch bei der Debatte um die Frauenquote – Frauenpolitik war. Man hat das immer damit legitimiert, dass man gesagt hat: Die Männer interessieren sich nicht dafür, deshalb sind wir nur Frauen. Ich denke, dass viel zu sehr die Forderungen der Frauen aus Opferperspektive im Mittelpunkt standen und der Mann relativ als Täter oder als einer, der zum Misslingen von Frauenkarrieren beiträgt, verstanden worden ist. Diese Grundanschauung ist für Männer kaum eine Einladung gewesen, sich zu engagieren. Wenn man etwa bei Ihnen in Deutschland sieht, dass das zuständige Ministerium „Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“ heisst, heisst das auch, dass die Frauen und die Familie benannt werden, die Männer aber nicht. Deutschland ist Vorreiter mit dem Elterngeld, mit den Papa-Monaten – das ist für mich keine Kleinigkeit, sondern ein Hinweis darauf, dass man sich zwar sich bemüht, aber zu wenig auf die Etikette schaut, die für Männer sehr wesentlich wäre. Wenn man wirklich Männer ins Boot holen will, und es gibt ja viele Männer, die sich positiv engagieren, muss Frauenpolitik Familienpolitik werden. Was hiesse das in der Praxis? Man muss diskutieren, dass auch Männer ein Vereinbarkeitsproblem haben. Es ist nicht so, dass die Männer einfach nicht wollen, sondern es gibt Zwänge, denen sie unterliegen, genauso wie Frauen mit Zwängen zu schaffen haben. Und wenn man sich die Betriebe anschaut, dann ist es ja nach wie vor ein Glücksfall, wenn ein Mann, der Vater wird, in einem Betrieb arbeitet, der eine Chefin oder einen Chef hat, der diese neue egalitäre Rollenverteilung internalisiert hat und auch im Betrieb umsetzen will. Frauenpolitik muss sich entwickeln, und dazu gehört auch und dafür plädiere ich, dass sich Frauen kritisch weiterentwickeln müssen. Ich entnehme das unseren Studien, dass Frauen zu selbstbewusst sind, zu wenig selbstkritisch in den Spiegel schauen; dass sie zu selten sehen, dass sie ein Teil des Geschehens sind und sich zu wenig fragen, ob sie ihren Männern, ihren Partnern genügend Entwicklungsmöglichkeiten zugestehen oder ob sie sich selber immer in den Mittelpunkt stellen. Das hat nichts damit zu tun, dass wir Frauen kämpfen müssen – gerade die #MeToo-Debatte ist eine wichtige Debatte. Aber die traditionelle, weibliche Rolle ist zu unangetastet und die männliche Rolle ist zu sehr im Verruf. Also müsste die Familienpolitik helfen, dass diese Stereotypen, Überzeugungen und Ansichten aufgeweicht werden können. Letzte Frage beziehungsweise eine Bitte: Erklären Sie als Schweizer Pädagogin mir als deutschem Journalisten, warum es in der Schweiz so schwer ist, den Vaterschaftsurlaub durchzusetzen. Da stellen Sie mir eine Frage! Ich finde es ja vollkommen lächerlich. Ich schreibe das auch überall und äussere mich auch so: Wir diskutieren in der Schweiz um einen Vaterschaftsurlaub von maximal 14 Tage. Also es geht nicht um zwei oder drei Monate! Es gibt Betriebe, IKEA beispielsweise, die das bereits selber in die Hand genommen haben. Es gibt aber auch Betriebe, die das nicht machen, und wenn sie mich fragen warum: Wir sind nach wie vor eine relativ traditionelle Gesellschaft. Und ein Hauptgrund ist auch, also das ist jetzt etwas mutig, das wir relativ viele junge Politiker aus dem rechten Lager haben, die SVP sagt Ihnen ja sicher etwas. Die sind Väter geworden und sie plädieren lauthals, dass das in der Eigenverantwortung der Familie liege. Sie seien Väter geworden und hätten das Problem intern gelöst. Es gibt eine junge Rechte, die ratlos macht, weil man denken könnte, diese jungen Väter ziehen mit am Karren und bringen den Vaterschaftsurlaub mit durch. Aber – das sind eher Bremser. Das zweite ist grundsätzlich, dass in der Schweiz, viel, viel stärker als in Deutschland, die Familie als Privatangelegenheit angeschaut wird. In Deutschland haben sie demgegenüber in den letzten Jahren wirklich einen Perspektivenwechsel vollzogen: Der Staat trägt auch Verantwortung für das Aufwachsen der Kinder, für die Familie. Die Schweiz tickt anders? Wir Schweizer sprechen davon, dass wer ein Kind will, der ist selbst verantwortlich, besonders die heutige Grosselterngeneration denkt so. Vielleicht haben Sie das mitbekommen, der Bundesrat hat an einem Tag diese Vaterurlaubsinitiative abgelehnt, und er hat in der gleichen Sitzung etwa zwanzig Millionen Franken für die Berufsweltmeisterschaften bewilligt, die man hätte nach Basel holen wollen. Der Bundesrat trifft also konservative Entscheidungen und gibt Geld für etwas, das schon wichtig ist, das aber nicht den Stellenwert von etwas wie Vaterschaftsurlaub hat. Was ich sehr problematisch finde, und ich sehe das bei meinen jungen Mitarbeitern, ich sehe das im Kontakt mit jungen Männern: Wer gut ausgebildet ist und einen guten Job hat, organisiert sich selber, die Männer nehmen dann eben einen unbezahlten Urlaub. Was ich für höchstproblematisch halte, dass wir wieder mal in der Schweiz das Problem der Chancengleichheit haben, denn Menschen, die wenig verdienen, die können sich das nicht leisten. Die gutverdienenden Paare haben einen Startvorteil, die schlechter verdienenden Paare haben einen Nachteil und sind dann noch mehr benachteiligt. Wie könnte es weitergehen? Ich kann mir vorstellen, dass wenn die Betriebe in der Schweiz merken, dass der Vaterschaftsurlaub gut und wichtig ist, um Fachkräfte zu bekommen, wenn sie ihn etablieren, wird der Bund unter Zugzwang kommen und wird etwas in diese Richtung regeln und anbieten müssen. Margrit Stamm ist Direktorin des Swiss Institute for Educational Issues mit Sitz in Bern. Ausserdem ist sie Gründerin des Universitären Zentrums für frühkindliche Bildung Fribourg ZeFF. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Zuletzt erschien von ihr: «Neue Väter brauchen neue Mütter», Piper Verlag, München, 2018. |