«ÄNDERN sich
die RAHMENBEDINGUNGEN,
ÄNDERT sich das Verhalten»
Frank Keil spricht mit Deutschen Vätern und Experten über das Elternzeitmodell unseres Nachbarn.»
Text: Frank Keil
|
«Meine Partnerin hätte das auch von mir erwartet», sagt Simon Scheithauer. Dass er Elternzeit nimmt.
Dass er eine mehrmonatige Pause im Job einlegt. Dass er sich um das Kind kümmert, so wie sich seine Partnerin nach der Geburt um das Kind gekümmert hat, das sie sich schliesslich beide gewünscht haben, so wie sie auch eine Familie werden wollten und nun sind. Aber das war ihm von sich aus klar; das war ihm selbst ein Bedürfnis. Und so hat er sechs Monate Elternzeit genommen. Klar sei es immer auch eine finanzielle Frage. Denn das Elterngeld, das während der Elternzeit gezahlt wird, sei in der Regel deutlich niedriger als das, was ein Mann sonst nach Hause bringt. «Aber es geht ja nicht darum, dass man von dem Geld seine Miete nicht mehr bezahlen kann oder nichts mehr zu Essen hat», sagt Scheithauer. Sondern darum, ob man bereit sei, für eine gewisse und also absehbare Zeit Einschränkungen hinzunehmen. Ob einem die Zeit, die man mit seinem Kind verbringen, und wo man es aufwachsen sehen kann, etwas wert ist, sozusagen. Und (die Frage ist ein bisschen blöd) wie war es? Na gut, natürlich. Schön. «Für mich war die Elternzeit vielleicht nicht easy, aber doch sehr entspannt», erzählt der Kölner. «Als ich einstieg, war unser Kind schon acht Monate alt und musste nicht mehr gestillt werden. Zudem war meine Elternzeit von April bis September; das war die warme Jahreszeit, da konnten wir oft in den Park gehen.» Wie bei vielen Vätern, die mehr als die üblichen zwei Monate Elternzeit nehmen, damit der Anspruch nicht verfällt, begannen die Probleme eher, als er wieder daran dachte, wie es wohl wird, wenn es zurück in den Job geht, als Architekt in einem freien Architektenbüro: «Ich bin zu meiner damaligen Firma gegangen, habe ihnen gesagt, dass ich nicht mit 100 Prozent wieder einsteigen möchte, sondern mit 80 Prozent, und das wollten die nicht.» Er kündigt. Er sucht sich eine neue Stelle, findet eine bei einer städtischen Behörde: «Das Lustige ist, dass ich nun wieder zu 100 Prozent arbeite, aber die 100 Prozent dort entsprechen 80 Prozent bei meiner alten Stelle, weil ich tatsächlich das arbeite, was in meinem Vertrag steht.» Und wenn er jetzt gegen 16 Uhr aufsteht und geht, muss er nicht sagen, dass er jetzt geht, um seinen Sohn vom Tagesvater abzuholen. Simon Scheithauer sagt: «Ab einem bestimmten Einkommen ist die Zeit, die fehlt, das Problem. Und nicht das Geld, von dem man genug hat.» Und so schaut er sowohl auf seine Elternzeit zurück, als auch in die Zukunft: «Jeder Mann, der Vater wird, kann Elternzeit nehmen; die kann ihm nicht verwehrt werden, so wie sie auch mir selbstverständlich gewährt wurde. Die formalen Regeln sind alle da – am Ende geht es darum, wie sie gelebt werden.» Die Elternzeit für Väter, so wie Simon Scheithauer sie in Anspruch genommen hat – ist es eine Erfolgsgeschichte in Deutschland? «Das würde ich klar bejahen!», sagt Hans-Georg Nelles vom Väternetzwerk Nordrhein-Westfalen, Deutschlands bevölkerungsreichstem Bundesland (17,8 Millionen Einwohner). Er ist einer der besten Kenner der Vaterszene, der sich noch gut daran erinnern kann, wie vehement die Debatte noch vor Jahrzehnten im Parlament geführtwurde: «Damals waren noch die alten Männer am Ruder, die behaupteten, Väterzeit bräuchte niemand und würde deshalb nicht in Anspruch genommen werden; dabei sind die Väter vorher gut befragt und gut beforscht worden.» Und er erinnert an die ewige Formel von der «verbalen Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre» des Soziologen Ulrich Beck, die man den Männern seinerzeit pauschal unterstellte (also um die Ohren schlug) und die auch dafür herangezogen wurde, um eben gesetzliche Neuregelungen nicht auf den Weg bringen zu müssen. «Doch die Väter haben darauf gewartet, dass sie sich engagieren können, denn sie wollten sich engagieren», sagt Nelles. Er sagt: «Stimmen die Rahmenbedingungen, ändern die Väter ihr Verhalten.» Alles beginnt im heute fernen Jahr 1979. Die seinerzeitige rot-gelbe Regierung unter dem Bundeskanzler Helmut Schmidt führt den Mutterschaftsurlaub ein. Damals wird sogleich diskutiert, ob diese Zeit nicht auch den Vätern zugestanden werden muss – schon aus Gründen der Gleichstellung der Geschlechter, wie sie im bundesdeutschen Grundgesetz nun mal verankert ist. Dennoch kommt es nicht dazu. Die konservativen Kräfte, für die der Vater eine seltsame Figur ist, die vorm Morgengrauen das Haus verlässt und erst nach Einbruch der Dunkelheit langsam zurückkehrt, sind noch zu stark. 1985 wird das nun für Mütter und Väter geltende Bundeserziehungsgeldgesetz auf den Weg gebracht, das es nun auch Männern ermöglicht, so genannten Erziehungsurlaub zu nehmen. 15 Jahre später heisst dieser amtlich stattdessen «Elternzeit»: In der noch immer preussisch geprägten bundesrepublikanischen Gesellschaft wird das Wörtchen «Urlaub» zu sehr mit «Nichtstun, Faulenzen» gleichgesetzt. Ab 2007 heisst das «Erziehungsgeld» dann «Elterngeld»; man möchte auch begrifflich die Väter selbstverständlicher einbinden. Bezugsdauer: zwölf Monate, nimmt einer der beiden Partner Elternzeit. Plus zwei so genannte Bonusmonate, kommt der andere Partner hinzu. Beide können sich aber auch die dann insgesamt 14 möglichen Monate aufteilen (sieben und sieben, neun und fünf oder acht und sechs, wie bei Simon und seiner Partnerin). Gezahlt werden pro Monat 67 Prozent des bisherigen Nettomonatseinkommens bis zu einer maximalen Höhe von 1800 Euro an Elterngeld. Den damals noch immer vorhandenen Skeptikern zum Trotz, greifen bald knapp zehn Prozent der Väter zu. Der dafür vorgesehene Etat ist schnell ausgeschöpft und muss nachgefüllt werden. 2012 wird neben dem bisherigen 14-monatigen Elterngeld (das nun Basiselterngeld heissen wird) das «Elterngeld Plus» gestellt, das für bis zu 28 Monaten gezahlt wird, und das verbesserte Möglichkeiten der Teilzeitarbeit während der Elternzeit vorsieht. Zudem wird der Zeitraum ausdehnt: Bezahlte Elternzeit kann bis zum achten Lebensjahr eines Kindes genommen werden. Ein weiterer Schritt, um zu verankern, dass väterliche Erziehungsarbeit nicht nur in den ersten Lebensmonaten eines Kindes wichtig und unerlässlich ist. Stand heute: Wird in Deutschland ein Mann Vater, kann er bis zu 36 Monate in seinem Job pausieren. In einem Rutsch oder mit Unterbrechungen und im Wechsel mit seiner Partnerin. Davon werden bis zu 28 Monate bezahlt. Auch nicht unwichtig: Er muss seine geplante Elternzeit bei seinem Arbeitgeber lediglich schriftlich rechtzeitig angeben. Und der Arbeitgeber muss bis auf wenige, sehr spezielle Fälle zustimmen. Eine Rückkehr zum Arbeitsplatz zu den bisherigen Konditionen ist entsprechend garantiert. Und wie wird nun Elternzeit von Vätern in Anspruch genommen? «In einzelnen Städten wie Dresden oder Jena und in verschiedenen bayrischen Kommunen gibt es eine Inanspruchnahme, die weit über 50 Prozent liegt», sagt Hans-Georg Nelles. Der aktuelle Bundesdurchschnitt liege bei gut 35 Prozent (zur Erinnerung: Angefangen hat es mal mit knapp zehn Prozent). Und die Tendenz sei steigend. Das zeige, dass Elternzeit für Väter etwas ist, das gewollt sei. Die allerallermeisten Väter belassen es bei zwei Monaten (die sonst quasi verfallen würden). Nur sieben Prozent nehmen tatsächlich mehr als zehn Monate. Nüchtern statistisch betrachtet bringen es Väter auf etwas über dreieinhalb Elternzeitmonate, Frauen auf über 13 Monate. «Aber das wird», sagt Nelles. Das dauere eben Generationen. Und auch auf der Gegenseite, bei den Arbeitsgebern, sei man längst dabei, Elternzeiten von Vätern in die jeweilige Betriebskultur zu intergieren und nicht mehr als lästige Störung abzuwehren. «Natürlich sind nicht alle Vorgesetzten begeistert, aber es hat sich herumgesprochen, dass Elternzeit für Väter deren gutes Recht ist», sagt Nelles. Hilfreich, wenn der Chef oder der Vorgesetzte selbst Elternzeit genommen habe und seitdem eher wüsste, was Familienleben wirklich bedeutet – und die Chancen für dieses Wissen steigen ja. Für den Einwand, besonders die vielen kleinen Betriebe hätten nicht die Flexibilität Väterzeitwünsche ihrer Mitarbeiter zu unterstützen, hat er dagegen kein Verständnis: «Natürlich ist es für einen Betrieb von vier, fünf Mitarbeitern schwierig, wenn einer von ihnen für einige Monate sozusagen ausfällt. Doch andererseits hat man ja einen Vorlauf von einigen Monaten, um für Ersatz zu sorgen oder eine innerbetriebliche Lösung zu finden, ein Kind kommt ja nicht so über Nacht.» Und ausserdem: «Die Leute machen doch auch Sport, spielen am Sonntag Fussball, brechen sich mal die Knochen, rufen am Montag in der Firma an, fallen erst mal aus, müssen danach für Wochen in die Reha – das muss doch dann auch gehen.» Wobei auch festzustellen ist, dass die Elternzeit für viele Väter quasi der Einstieg in eine grundsätzliche Neuordnung ihrer Berufstätigkeit ist: «Es gibt eine eindeutige Tendenz, dass die Väter, die länger als zwei Monate Elternzeit genommen haben, anschliessend ihre Arbeitszeit reduzieren wollen, um weiterhin für ihr Kind da sein zu können.» Was aber keine Entscheidung für das ganze Leben, sondern für eine Lebensphase sei. Wobei es die ersten, nicht mehr ganz jungen Väter gibt, die sich anfangen Gedanken zu machen, wie das eigentlich ist, wenn ihre Eltern pflegebedürftig werden, vielleicht auch ihre Partnerin; und wie unterstützende Pflege dann mit einem klassischen Full-TimeJob zu vereinbaren ist. Aber das ist dann ein neues Thema. Das gewiss auf uns zukommen wird. |