"Geschlechter-frage
war Zugpferd
der Rechten"
Ein Gespräch mit dem Historiker Volker Weiss über das Geschlechterbild der
Neuen Rechten, über den Männerberserker Jack Donovan und das Versagen der Geschichtsforschung – ausnahmsweise mit Fußnoten versehen. » Text und Bild: Frank Keil
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ERNST: Wie sind Sie dazu gekommen, sich mit dem Geschlechterbild der Neuen Rechten zu beschäftigen?
Volker Weiss: Die Frage der Geschlechteridentität, begriffen als Geschlechterschicksal, ist gerade bei der Neuen Rechten zentral. Und meine Beobachtungen im süddeutschen Raum, aber auch in Hessen, haben mein Interesse am Thema sicher bestärkt. Unter anderen das Netzwerk der Beatrix von Storch (1) stellt sich gegen die so genannte Schwulenehe und gegen eine moderne Sexualerziehung. Das durchaus mit Erfolg: Die «Junge Freiheit» (2) hat eine große Kampagne geführt – und das Schulministerium von Baden-Württemberg hat daraufhin eine Broschüre zurückgezogen. Die haben damit wahnsinnig viele Leute angezogen. Die Geschlechterfrage ist ein Zugpferd dieser Kreise – das bis jetzt aber kaum als solches identifiziert wurde. Man darf nicht vergessen, dass die Geschlechterordnung, die Rollenaufteilung, im konservativen Denken, und da kommt es ja her, eine zentrale Rolle spielt. Von daher findet sich dort eine Panik allem gegenüber, dass irgendwie anders ist. Damit kommen sie bestimmten konservativ-muslimischen Einwanderermilieus sehr nahe. Die klassischen drei K’s, Kinder-Küche-Kirche, das war das wilhelminische, das viktorianische Frauenbild, dessen sich die Neue Rechte wieder bedient. Und da eben gibt es durchaus Entsprechungen auf der radikalislamischen Seite. Gleichzeitig gibt es eine breite Akzeptanz von Schwulen und Lesben, bis in bürgerliche Kreise hinein. Wie passt das zusammen? Das ist die Bewegung, die wir ab den Neunzigern haben. Da gab es so symphatische Phänomene. Viele mochten beispielsweise die schwulen Comichelden von Ralf König. Nebenbei hat man bei den Homosexuellen gemerkt: Die sind gebildet, die haben eine Wahnsinnskaufkraft, schwule Pärchen wurden bald für die Werbung entdeckt. Insofern hat mich diese Entwicklung der Neuen Rechten erst auch gewundert, ja. Und, auch wenn man das nicht gleichsetzen kann, habe ich mich als Historiker dann aber gefragt: Wie war das mit der Judenemanzipation und dem Antisemitismus? Die Judenemanzipation war ein Prozess, der sich durch das gesamte 19. Jahrhundert zog. Mit der Preussischen Gesetzgebung vom Jahr 1869 und der Reichsgesetzgebung vom Jahr 1871 wurde festgelegt: Es ist keine Diskriminierung der Juden mehr möglich – per Gesetz. Und dann erst begann der Antisemitismus. Das heisst: Der war davor auch da, als religiöse Judenfeindschaft, aber dann setzt sich der politische, der moderne, der rassisch argumentierende Antisemitismus viel stärker durch. Er organisiert sich als eine Abwehraggression. Und ich denke eben, dass das ähnlich ist bei Themen wie der Rechtsgleichheit für Homosexuelle. Der AFDler Björn Höcke (3) bringt es auf die Formel: «Ich sage, wir müssen unsere Männlichkeit wieder entdecken, denn nur wenn wir unsere Männlichkeit wieder entdecken, werden wir mannhaft, und nur wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft, und wir müssen wehrhaft werden.» Da bin ich sehr altmodisch und komme mit Kulturtheoretiker Klaus Theweleit (4): Das politische Bild dieser Bewegung hat sich seit Erscheinen von «Männerphantasien» nicht so sehr gewandelt. Theweleits Analysen vom Körperpanzer, vom soldatischen Mann, von der Abwertung der roten Frau und der Idealisierung der weißen Frau spielen nach wie vor eine Rolle. Schauen wir uns die Eigenverlautbarungen dieser Leute an: Es gibt im Antaios Verlag (5), als dem zentralen Verlag der Neuen Rechten, einen Gesprächsband, wo sich der innere Kreis um dessen Verleger Götz Kubitschek trifft. Da wird geplaudert, da gibt man unglaublich viel preis, und es kommt relativ schnell heraus: Die zentralen Akteure dieser Runde waren in Spezialeinheiten der Bundeswehr. Kubitschek selber war Zugführer, ein anderer am Tisch war Aufklärer, ein dritter ist der Sohn eines hohen österreichischen Offiziers – das Militärische, so sehr dieses heute an Präsenz in der Gesellschaft verloren hat, spielt in diesen Kreisen, und wenn auch nur als Ideal, eine große Rolle. Und da kommt man auf relativ klassische Bilder. Wen ich durch Sie kennengelernt habe, ist Jack Donovan (6) und seine Bewegung um sein Manifest «Der Weg der Männer». Donovan und seine Anhänger berufen sich auf die Natur; auf die Schimpansenhorde – ganz im Ernst. Das ist eine Phantasiewelt, in der diese Leute leben. Sie ist leider gefährlich. Haben Sie das Video gesehen, wo er mit dem Messer an sich herumschneidet? Das ist wie ein autoaggressiver Teenager. Der Mann ist ein tragischer Fall, auch biografisch gesehen: Er kommt ja aus der Schwulenkultur, findet das alles dort zu verweiblicht, wobei es immer auch eine hypermaskuline Schwulensubkultur gab, bis hin zu Blüher (7) aus dem Kaiserreich oder Michael Kühnen (8) in den Achtzigern, wo die soldatische Tugend hochgehalten wurde, weil es im Feld nun mal keine Frauen gibt. Mir persönlich ist das alles relativ schleierhaft. Was mir aber wichtig ist: Donovan ist eines der zentralen Belegstücke, warum die Bewegung nicht konservativ ist. Er repräsentiert eine offene, faschistische Männlichkeit. Die Rückberufung auf die Natur, die ist nicht konservativ. Konservatismus ist kulturfixiert und nicht Naturzuwendung. Die Aufhebung von Natur und Kultur, findet im rechtsradikalen Denken schon durch die Rassentheorie statt: Rasse bindet Kultur an Natur zurück, und das ist antikonservativ. Deswegen meine Dauerpredigt: Die Neuen Rechten sind keine Konservativen. Donovan inszeniert sich als eine Mischung aus Rocker, Wikinger und wüstem Männerrechtler. Im Moment führt die Rechte die Entfremdungsdebatte, die früher die Linke geführt hat. Da geht es um Entfremdung von der völkischen Identität und Entfremdung vom Geschlechterschicksal. Die Großstadt entfremdet dich, die nimmt den Männern das Mannsein. Nehmen Sie ein Phänomen wie den Roman und Film «Fight-Club» von Chuck Palahniuk, der übrigens mit Jack Donovan eng befreundet ist: Da werden Rituale gesucht, um sich das Entfremdete wiederzuholen – und dann haut man sich ritualisiert auf die Fresse oder man behackt sich am ganzen Körper. Ich fürchte, die leiden, wie eigentlich alle seit der Moderne, an Entfremdungserfahrungen. Vielleicht gehören diese dazu, weil es kein Eigenes gibt? Denn so dekonstruktiv bin ich dann doch: Was ist das Eigene überhaupt? Was ist denn das Identische, was ist das Eigene? Was ist das Mannsein? Kann ich das nur definieren über den Krieg, über die ewige Auseinandersetzung? Mit Argumentieren ist man da doch schnell am Ende, oder? Ich bin ja mit Lesungen viel unterwegs, habe solche Leute auch im Publikum. Ich war neulich in einem sehr großbürgerlichen Milieu zu Gast, in einer exklusiven Gesellschaft, wo Leute mit einem aufgestickten Wappen sitzen, da bekannte sich jemand aus dem Publikum als AFD-Wähler und auch als Neu-Rechter. Wir fingen an zu diskutieren, dafür bin ich ja da, und er hat eigentlich bei jedem Sachverhalt einen Rückzieher gemacht. Es war auch relativ schnell zu merken: Der Mann kannte seine eigene Theorie nicht – das hat er dann auch zugegeben. Und jeder Wortwechsel endete mit: «Da haben Sie sachlich vielleicht recht, aber wissen Sie: Ich fühle das anders.» Da ist die Debatte dann beendet. Nichts oder wenig hilft? Helfen würde eine politische Isolation. Dem steht aber leider das Interesse der Medien am Spektakel entgegen. Deswegen zoffe ich mich mit Medien, die über die Identitären (9) schreiben und vor allem deren bunte Bilder reproduzieren wollen. Ich bekomme viele Anrufe und bin mittlerweile kurz davor, die Gespräche abzubrechen, wenn es heißt: «Also, die haben doch keine Glatzen und tragen keine Springerstiefel – das sind doch keine Rechten». Ich weiß nicht, wann ich die letzte Naziglatze gesehen habe. Da trifft auf der einen Seite eine gewisse Hilflosigkeit der Aufklärung auf diese fatale Spektakelwucht. Und dann kommt man nicht weiter. Es gibt die Floskel «Hauptsache, man bleibt im Gespräch». Ich muss nicht mit jedem reden. Das ist auch nicht antidemokratisch. Was man machen muss: mit Wählern und Wählerinnen im Dialog bleiben. Schauen wir mal auf die Männerbewegung: Auch da gibt es Konzepte, die mit einer ursprünglichen, fast archaischen Männlichkeit liebäugeln. Man geht in die Schwitzhütte, man geht zusammen in den Wald. Ich gehe auch gerne campen! Kann man auch gemischt machen. Aber mal im Ernst: Denken Sie an die Siebziger, da gab es bei der Linken das Aussteigerphänomen, die Ökohöfe, da waren durchaus merkwürdig-konservative Elemente dabei: Man bediente sich bei der Lebensreformbewegung der Jahrhundertwende und der Zwanziger, da waren die Grenzen zum Völkischen sehr, sehr fließend. Und der Schritt von der Reinheit des Essens zur Reinheit des Blutes ist zuweilen schnell getan. Damals sind ja auch einige fix von links nach rechts gewechselt. Von daher: Ja, da ist durchaus Misstrauen angebracht. Aber Schwitzhütten als Wellnesserfahrung, meinetwegen; soll ja auch gesund sein. Schwierig wird es, wenn es metaphysisch überhöht wird, wenn es mystisch aufgeladen wird. Wenn Geister durch den Wald wabbern – das kann man mit vierzehn bei den Pfadfindern machen, das habe ich auch getan. Das war übrigens bei der Frauenbewegung ähnlich: Da gab es die Welle «Ich als Frau», eine Redefinition von Weiblichkeit, die sehr naturhaft wurde. Plötzlich musste man «bewusste Mutter» werden, das war natürlich eine Mittelschichtserscheinung und da ist man glücklicherweise über die Gendertheorie einen Schritt weiter. Ich werde hellhörig, wenn in feministischen Kreisen genauso wie in progressiven Männerkreisen archaische Rollenbilder reproduziert werden. Stichwort: mythische Erhöhung. Wie eng sind die Verbindungen zwischen der Neuen Rechten und dem evangelikalen Milieu? Ist nicht mein Fachgebiet, nur so viel: Die Neue Rechte ist da durchaus gespalten. Die «Junge Freiheit» hatte lange einen stark evangelikalen Einschlag, hat aber in den letzten Jahren eine Hinwendung zum katholischen Fundamentalismus vollzogen. Weil die protestantische Kirche, so lange sie nicht evangelikal ist, als zivilisatorisch völlig geschädigt und verloren gilt: Die bimmeln nur noch für die Dritte Welt, und damit wird abgerechnet. Bei den Katholiken hat man da mehr Hoffnungen. Beatrix von Storch – da ist eine Verbindung zum Katholischen. Die haben im Moment, so weit ich das einschätzen kann, ziemlich Rückenwind. Auch ein Kandidat wie Martin Hohmann 10, der bei der AFD gelandet ist, kommt aus einem heftigen Katholizismus. Die «Junge Freiheit» hat die PiusBrüderschaft verteidigt. Da gibt es in jedem Fall Verbindungen. Zugleich gibt es in der Rechten immer auch eine Spaltung: zwischen der christlichen Rechten und der Pagano- oder Neu-Pagano-Rechten. Björn Höcke hat es ja sehr deutlich gesagt: Ihm fehlen die germanischen, die antiken Wurzeln, wenn über das christliche Europa gesprochen wird. Wie nah kommen Sie ihrem Thema? Ich bin Wissenschaftler, ich bin kein Undercover-Agent, kein investigativer Journalist. Ich schleuse mich nirgends ein. Ich schleiche mich nicht auf Treffen, ich fahre nicht Leuten heimlich hinterher. Ich sitze am Schreibtisch, ich gehe in Bibliotheken, ich surfe im Internet. Ich tue das, was jeder tun könnte – auch die Behörden: Meine Quellen sind offen. Ich hatte eine einzige Begegnung mit Götz Kubitschek, der aus den Reihen der Jungen Freiheit stammt und heute den Antaios Verlag betreibt. Der stand vor mir und hat mich wie ein Vollidiot angeschrien, mehr nicht. Ich habe kein Bedürfnis, mit dem zu reden. Björn-Höcke-Reden auswerten, AFD-Parteitage verfolgen – wie behält man da gute Laune? Es geht einem schon auf die Nerven. Ich wollte eigentlich von dem Thema weg, und dann kam der Auftrag, das Buch zu schreiben – und es wurde ein Bestseller. Ich habe andere Bücher geschrieben, und ich habe als Historiker noch ganz andere Standbeine – aber die interessieren gerade keinen. Und ich sehe im Moment wirklich eine Gefahr. Ich will das nicht überdramatisieren, wir sind in Deutschland noch gut dran, aber wenn ich mich in Europa umschaue, wenn ich nach Osteuropa schaue, dann kriege ich das Fürchten. Also: Ich sehe Handlungsbedarf. Aber Spaß, sich damit zu beschäftigen, macht das nur begrenzt. Mich hat neulich jemand kontaktiert, den ich immer wieder zitiert habe, von dem ich auch nicht wusste, was aus ihm geworden ist, der hat in den späten Achtzigern viel im rechten Milieu recherchiert – der ist heute Food- und Weinjournalist. Ich kann das gut verstehen. Ihr Buch stand lange auf Bestseller-Listen. Ich hab mich um das Thema nicht gerissen, aber ich bin voll gelandet. Und ich will nicht jammern: eine Buchpreis-Nominierung, es gibt kaum eine Zeitung, die mein Buch nicht besprochen hat, das ist schon was. Was aber auch ein anderes Anforderungsprofil verlangt: Ich hatte plötzlich Fernsehkameras vor der Nase! Und um mal über meine eigene Männlichkeit zu reden, ich optimiere mich ja auch: Ich bin aus der Universität raus, weil ich da keinen Millimeter weitergekommen bin. Das hat meine Eitelkeit schon gekränkt, und das wird jetzt durch diesen Erfolg durchaus kompensiert. Und gleichzeitig bin ich schon sauer auf meine Fachkollegen: Wir erleben im Moment, nicht nur im Bereich der Männlichkeit, sondern auch im Bereich der Politik, der metapolitischen Orientierung, dass Gesellschaftskonzepte aus den späten Zwanzigern und frühen Dreissigern reaktiviert werden und die Zeitgeschichte schweigt. Die müssten eigentlich – wie ein Mann – da stehen und sagen: Moment mal! Es wird ja immer über Hitler geredet, was total falsch ist. Wir müssten über die letzten drei Reichsregierungen der Weimarer Republik reden, über Brüning, über Schleicher, über von Papen – aber: nichts, nichts. Das ist schon ein Elitenversagen, das wir gerade erleben. |