Ernst - Magazin fuer Gesellschaft, Sinn und Gender
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Er geht

An einem Samstagmorgen schnürt sich Lous Freund die Schuhe, geht zur Tür hinaus – und kommt nie wieder zurück. Ghosting, wie man so einen abrupten Beziehungsabbruch heute nennt, versursacht oder verschlimmert Traumata. Und zwar beim Verlassenen – und beim Beziehungsabbrecher.  »
Texte von Anna Miller, Illustrationen von Simon Bretscher

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Er war verschwunden, einfach so. Er kam nicht mehr wieder, nicht mehr zu ihr nach Hause, in ihr Leben. Diese Liebe, die sich seit Wochen, seit Monaten entwickelt hatte, in diesem Sommer 2014, eine amour fou, leidenschaftlich, wild, aber auch ungesund, intensiv und fragil, sie verschwand an diesem Samstagmorgen – und Lou merkte es nicht.
 
Nichts deutete an diesem Tag darauf hin, dass es einfach enden würde. Wir hatten es so gut, am Abend davor haben wir noch zusammen zu Abend gegessen, er war bei mir, wir waren sehr glücklich. Wir hatten noch über unsere gemeinsamen Wochenendpläne gesprochen, wir sagten, wir treffen uns, wir wollten irgendwo unter einem Baum liegen, oder baden, es war heiss. Ich stand an diesem Morgen in der Küche, mit den Händen im Spülbecken, ich habe die Kaffeetassen abgewaschen von unserem gemeinsamen Morgen, er ging zur Tür und zog sich die Schuhe an, ich habe noch dieses Bild vor mir, wie er im Türrahmen stand. Er sagte, wir hören uns wieder, dann ging er aus der Tür, ich habe ihm keinen Kuss gegeben und keine Umarmung, ich wusste doch, wir sehen uns wieder, schon morgen sehen wir uns.
 
Der Sonntag kam, aber Lou hörte nichts. Sieben Wochen lang Funkstille, keine SMS mehr, keine Anrufe, keine Glückwünsche zum Geburtstag, kein Wiedersehen. Ihre Anruf- und Schreibversuche liefen ins Leere, in die Ohnmacht, ins Schweigen. Zuerst dachte Lou, es sei ihrem Partner etwas passiert, ein Unfall, ein blöder Zufall, leerer Handyakku, was man sich eben so zurechtlegt, wenn etwas von einem Moment auf den anderen einfach aufhört und man es nicht kommen sah, sich in Sicherheit wiegte. Doch irgendwann dämmerte ihr: Er meldet sich wohl wirklich nicht mehr, ich wurde sitzen gelassen. Lou heisst in Wirklichkeit anders. Sie möchte ihren echten Namen aber nicht preisgeben. Aus Scham. Weil ihr Ex-Freund bekannt ist. Und auch, weil es wohl exemplarisch für das Thema ist, dass es in der Gesellschaft noch immer tabuisiert ist. „Plötzlicher Beziehungsabbruch in einer Partnerschaft“ nennt sich das, was Lou passiert ist, in der Fachsprache – oder eben „Ghosting“, ein neumodischer Begriff, der versucht, das gute alte "Ich geh mal schnell Zigaretten holen" neu zu definieren.
 
Neues Wort für altes Phänomen
Das Wort Ghosting geistert durch unser Zeitalter, seit die südafrikanische Schauspielerin Charlize Theron vor rund zwei Jahren durch die Klatschspalten der Medien hetzte und mit ihr ihr plötzlicher Beziehungsabbruch zum Schauspieler Sean Penn. In den Berichten stand, sie habe ihn von einem Moment auf den anderen eiskalt abserviert, nie wieder was von sich hören lassen, ihn eben geghostet, sie wurde wie ein Geist für ihn, nicht mehr sichtbar, nicht mehr greifbar, zumindest für ihn selbst nicht, für den Rest der Weltöffentlichkeit ist sie ja noch da wie immer. Ihre Geschichte erregte sehr viel Aufmerksamkeit, sie wurde über Wochen und Monate durch die Presse geschleppt, Hunderte Menschen füllten die Kommentarspalten mit ihren eigenen Abbruchstories. Und so wurde dieser neue Begriff des Ghostings eingeführt, und er hält sich seither hartnäckig.
 
Fragt man in seinem Freundeskreis umher, wer denn sowas schonmal erlebt hat, von einem Moment auf den anderen verlassen, melden sich erstaunlich viele Menschen zu Wort, manchmal sofort, manchmal auch nach längerem Überlegen, ach ja, stimmt, damals, diese Sommerliebe, ja, das Online-Dating, man teilt Gedanken und Lebensentwürfe, und dann zack, alles wieder weg, der Andere meldet sich plötzlich einfach nicht mehr, Nummer löschen, einfach weitergehen. Einfach weitergehen?
 
Für mich fühlte es sich an, als wäre jemand gestorben, so heftig war das. Ich war involviert und verletzlich, und dann wurde ich so abgewiesen. Seit ich begriffen habe, dass er einfach gegangen ist, träume ich regelmässig, es sei ihm etwas passiert. Manchmal träume ich, dass er bei einem Unfall stirbt. Vielleicht versuche ich im Traum, eine Begründung für dieses Aus zu suchen. Etwas, das alles greifbarer macht.
 
Betroffene schämen sich
Gut mit Ghosting umgehen können die Wenigsten, sowohl die Verlassenen als auch die Verlassenden, diese plötzlichen Abbrüche nagen teils Jahre an einem. Als wäre uns der Boden unter den Füssen weggezogen, ein Abschluss ohne Ende. "Der plötzliche Abbruch einer Beziehung ohne anständige Verabschiedung und Nennung von Gründen ist für den Verlassenen unschön und häufig kränkend", sagt der Psychologe Guy Bodenmann, Professor am Lehrstuhl für Klinische Psychologie der Universität Zürich. Es finde dadurch kein organischer Abschluss der Beziehung statt. "Man kennt die Gründe nicht, weiss nicht, was falsch lief und was man hätte anders tun können. Man erhält keine zweite Chance und das Ganze verläuft sehr einseitig, ohne, dass man dazu Stellung nehmen kann." Dies sei schwierig und könne sich auch negativ auf spätere Partnerschaften auswirken, da ein Grundvertrauen in andere und der Glaube an Fairness verloren gingen.
 
Die Betroffenen erzählen häufig von Ohnmachtsgefühlen, von plötzlichem Stehengelassen Werden. Sie berichten, dass aus ihrer Sicht alles in Ordnung war, dass es von Aussen keinen Grund für eine Trennung gab, dass die Beziehung gerade kurz vor dem Abbruch harmonisch und glücklich schien. Sie kreisen in Gedanken um die möglichen Gründe, finden keine Ruhe, fühlen sich ausgeliefert. Und schämen sich.
 
Ich habe fast niemandem erzählt, was passiert ist. Ich habe mich so geschämt. Dass das ausgerechnet mir passiert ist. Dass ich so schrecklich sein muss, dass mir jemand davonläuft, weil er es nicht mehr mit mir aushält. Was muss ich denn für ein Monster sein, dass mir die Männer so davonlaufen? Ich dachte, das würden die Leute denken. Ich fühlte mich wie eine Versagerin, ich habe mir Vorwürfe gemacht. Dass ich mich habe täuschen lassen, dass ich die Zeichen nicht sah, dass ich das alles nicht kommen sah. Ich bin sonst sehr intuitiv, ich habe eine gute Menschenkenntnis. Es gingen mir tausend Fragen durch den Kopf. Habe ich den Menschen falsch eingeschätzt? Stimmt meine Auffassungsgabe nicht? Habe ich etwas falsch gemacht?
 
Abbrecher ist Täter – und Opfer
Die deutsche Journalistin Tina Soliman, die zwei Bücher zum Thema Beziehungsabbruch veröffentlicht und über 2000 Menschen dazu befragt hat, sagt, es komme in Beziehungen meist dann zur Funkstille, wenn das Gespür für das richtige Mass von Nähe und Distanz nicht mehr vorhanden ist - beispielsweise, wenn die Beziehungen manipulativ, zu kalt oder zu symbiotisch werden. Nicht selten haben beide Partner in einer solchen Beziehung Bindungsängste. Und das, so Soliman, zeige sich in vielen Fällen bereits vor dem eigentlichen Abbruch.
 
Der Abbrecher selbst sei deshalb aber weder Täter noch ein glücklicher Mensch, betont Soliman. "Die Funkstille ist seitens des Abbrechers ein Bewältigungsversuch. Er signalisiert damit, dass er so nicht weitermachen will und kann - das heisst aber nicht, dass er die Beziehung zur anderen Person grundlegend nicht möchte." Die Funkstille sei eine Abwehr, weil sich die Person nicht zu anderen Handlungen in der Lage sehe. Schweigen sei in vielen Beziehungen ein beliebtes Konfliktlösungsmittel, das sich häufig wie ein roter Faden durch die Generationen ziehe, also im Grunde schon ein über Jahrzehnte existierendes Familienthema ist. Plötzlicher Beziehungsabbruch ist auch in Familien immer wieder ein Thema, Töchter, die mit ihren Müttern brechen, Familienmitglieder, die sich nicht mehr melden.
 
Bei plötzlichem Abbruch in Familien und in der Beziehung gehe es am Ende immer darum, Abstand zu schaffen – und sich zu schützen. „Der Betroffene kann mit gewissen Dingen oder Vorfällen nicht anders umgehen “, sagt Paarberater und Mediator Viktor Arheit von der Beratungsstelle "Paarberatung und Mediation im Kanton Zürich". Wie lange endgültig dieser Abstand dauert, sei sehr individuell, "manche brauchen zur Verarbeitung drei Stunden, andere drei Jahre oder sie kommen nie mehr zurück." Besonders schwierig für Betroffene ist der Umgang mit dieser Ungewissheit. Natürlich sei das nicht gewünschtes Beziehungsverhalten, "aber wer verhält sich schon immer gewünscht?" Der Abbruch sei ein Zeichen dafür, dass der Abbrecher sich nicht anders zu helfen weiss, dass er keine Handlungsalternativen zur Verfügung hat. "Ob man das moralisch bewerten will, ist jedem selbst überlassen", so Arheit. Allgemein gilt: Wer zuhause nicht gelernt hat, seine Bedürfnisse und Grenzen offen zu kommunizieren und dafür respektiert zu werden, der hat es damit auch in Paarbeziehungen schwerer.
 
Sieben Wochen später hat er sich dann endlich gemeldet, eine SMS hat er geschrieben, er schrieb nur diesen einen Satz: „Ich kann das nicht mehr.“ Es hat sich für mich angefühlt, als wäre er von der Brücke gesprungen. Als wäre er tot, nicht mehr unter den Lebenden, und das, was wir hatten, nur ein Traum. Heute noch fühlt es sich so an, als sei das alles in einem früheren Leben passiert, gar nicht wirklich jetzt. Er ist sicher kein böser Mensch. Er hat das nicht kalkuliert, er hat das nicht so geplant. Er war einfach völlig überfordert mit seinen Gefühlen, glaube ich heute, es war einfach eine Affekthandlung. Er hat wohl gemerkt, dass ihm alles viel zu nahe und viel zu viel ist.
 
WhatsApp macht Ghosting einfacher
Die neuen Kommunikationsmöglichkeiten machen den schnellen Beziehungsabbruch um ein Vielfaches wahrscheinlicher, da ist kaum mehr eine Schwelle, man kann kommunizieren und sich Nähe suggerieren, ohne dass da ein Gesicht wäre, eine echte Reaktion oder ein möglicher, zu lauter Gefühlsausbruch, man kommt sich leichter und schneller vermeintlich nah, ist aber auch einfacher wieder weg, der Möglichkeiten sind viele.
 
Das Netz biete die Möglichkeit, mit anderen in Kontakt zu treten, ohne sich zu berühren, wir lebten in einer Zeit, "in der man sich alle Optionen offenhalten möchte". Beziehungen würden herbeigesehnt, aber gleichzeitig auch gefürchtet, man will Liebe, traut sich aber nicht, sich ihr hinzugeben. "Um die Einsamkeit zu bekämpfen, suchen wir Nähe, jetzt, sofort. Aber vielleicht ist der andere noch gar nicht so weit, er wehrt sich, hat eine andere Sicht der Dinge. Und weil man sich dann nicht gehört fühlt, bricht man ab - Funkstille", so Soliman.
 
Bodenmann pflichtet dem bei, nennt aber noch einen zweiten Faktor dafür, dass diese Art von Beziehungsabbruch in der heutigen Zeit wohl zugenommen habe: die häufig geringere Kenntnis des Partners im frühen Prozess des Datings - man kennt sich vielleicht intensiv, aber eben nur kurz - und der damit zusammenhängenden geringeren Verbindlichkeit auch aufgrund des fehlenden gesellschaftlichen Drucks, weil man heute nicht mehr zwangsläufig heiraten, sich nicht auf immer versprechen muss. "Beides ermöglicht es einem, sich lautlos und ohne Konsequenzen aus der Beziehung zu stehlen", sagt Bodenmann. Und zurück bleibt: Unsicherheit. Die Verlassenen treibt diese Unsicherheit und eine Suche nach Antworten um.
 
Ich würde lügen, wenn ich bestreiten würde, dass ich heute noch ab und zu schaue, was er so treibt, über Facebook. Vielleicht laufen wir uns auch irgendwann über den Weg. Natürlich würde ich wollen, dass er sich erklärt. Aber wenn ich ihn jetzt noch damit konfrontieren würde, zwei Jahre später, wäre er geschmeichelt, und das will ich nicht. Er würde ja sehen, wie viel er in mir ausgelöst hat. Vielleicht sollte ich ihn konfrontieren, ja, aber ich bin zu stolz. Vielleicht will ich mir diese Blösse nicht geben, und ich will auch nicht, dass er erfährt, wie es mir geht, was ich tue, was mich beschäftigt. Ich möchte nur, dass er sich mal meldet und sich entschuldigt, das wäre alles, was ich will. Weil es mich versöhnen würde mit dem, was war. Er wird aber wohl nicht realisieren, was er getan hat. Ich glaube, er hat die Heftigkeit von dem, was er getan hat, nicht begriffen. Vielleicht habe ich ihm nicht gereicht.
 
Dem Gegangen nicht hinterherrennen
Es lohne sich, den plötzlichen Beziehungsabbruch nicht auf sich selber zu attribuieren, rät Psychologe Bodenmann, und Soliman sagt: „Nach dem Beziehungsabbruch soll man versuchen, dem Gegangenen Raum zu lassen und ihm keine Vorwürfe zu machen.“ Einfach mal eine Weile lang loslassen, nichts tun. Auch Viktor Arheit rät, sich wieder vermehrt auf sich selbst zurückzubesinnen und sein Leben wieder aktiv in die Hand zu nehmen. In Fällen von plötzlichem Kontaktabbruch würden die gleichen Phasen greifen wie bei Trennungen oder Todesfällen, die Verarbeitung erfolgt über mehrere Phasen: nicht wahrhaben wollen, Wut, Trauer, und dann, irgendwann, rafft man sich wieder auf und gestaltet neu.
 
Ich nehme mir heute immer genug Zeit, mich von Leuten richtig zu verabschieden. Bei allen. Das hat sich eingebrannt, diese Situation mit dem Spülbecken, diese Idee, dass jemand bleibt, aber dann nie wieder kommt, dass das Leben einfach neu entscheidet. Ich habe grosse Verlustängste. Ich habe gelernt, dass sich alles ändern kann, es muss nicht einmal einen Grund geben. Dieses Verabschieden ist manchmal fast schon zwanghaft, aber ich brauche es, es gibt mir Sicherheit.



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