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Die Zukunft der Geschlechterdebatte

«Feminist zu sein, reicht nicht»​

Der Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisationen männer.ch hat mit Nicolas Zogg  neu einen «Leiter Politik & Medien ». ERNST will vom Vater wissen, wie er die Organisation und somit die Gleichstellungsdebatte in der Schweiz mitgestalten will. »
Interview: Adrian Soller

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​ERNST: Der Dachverband der progressiven Schweizer Männer- und Väterorganisationen männer.ch engagiert sich schon seit zwölf Jahren dafür, dass Männer den Gleichstellungsprozess nicht verschlafen. Herr Zogg, seit April sind Sie nun für die Kommunikation bei männer.ch verantwortlich. Wieso engagieren Sie sich als Mann für Gleichstellung?
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Nicolas Zogg: Gleichstellung ist nicht nur Frauensache. Genauso wie Frauen benachteiligt sind im Erwerbsleben, haben Männer beispielsweise gesetzliche Hindernisse bei der Ausübung aktiver Vaterschaft. Und dafür – unter anderem – setzen wir uns ein. Ich selber bin mit 21 Jahren sehr früh Vater geworden, habe heute zwei Kinder, zehn und vierzehn Jahre alt. Das frühe Vaterwerden hat mein Lebenslauf stark geprägt, ich arbeitete nach der Matura lange als Gärtner, um Geld für die Familie zu verdienen. Mein Studium in Umweltingenieurwissenschaften an der ETH holte ich erst viel später nach. Was mich aber wirklich fasziniert bei der Arbeit für männer.ch sind die gesellschaftlichen Vorstellungen von Mann und Frau und wie sie sich gegenseitig bedingen. Mich reizt es, in diesem Feld etwas zu bewegen. So habe ich während drei Jahren Zivildienstleistende im gewaltfreien Umgang mit Konflikten geschult. Dort kam ich ebenfalls mit dem patriarchal geprägten Rollenbild in Kontakt. So wurden die Zivis als «Drückeberger» und «Weicheier» beschimpft, weil sie Konflikte nicht mit brachialer Gewalt lösen wollten. Heute arbeite ich fünfzig Stellenprozent bei männer.ch – und den Rest der Woche kümmere ich mich um meine Kinder oder arbeite freiberuflich als Gärtner und Schauspieler. Die Mutter der Kinder und ich leben mittlerweile getrennt.
 
Wie hat Ihr Umfeld auf Ihre neue Arbeit bei einer «Männerorganisation» reagiert?
Die Reaktionen waren unterschiedlich, die meisten aber halten meine neue Arbeit für «interessant» und «seltsam» gleichermassen. Manchmal spiele ich mit dieser Irritation. Ich sage, dass ich in einer Schwulenorganisation tätig bin, mich für die LGBT-Rechte einsetze. Denn schliesslich gehört es ja auch zu unserer Arbeit, Männlichkeitsdefinitionen zu erweitern. Will ich etwas tiefer erklären, was ich mache, ist die Vaterschaftsurlaubsinitiative auch ein sehr dankbares Thema. Engagierte Vaterschaft als Gegenmodell zum Alleinernährertum verstehen dann doch die meisten, fast alle können dem etwas abgewinnen. Die Initiative hilft mir, unsere emanzipatorische Position einfach zu erklären. Allerdings ist das Thema viel breiter, viel komplexer. Es geht uns grundsätzlich darum, Männlichkeitsnormen zur Diskussion zu stellen, das patriarchale Modell durch ein egalitäres Modell zu ersetzen. Die Gleichstellungsdebatte ist sehr facettenreich und gerade als Mann, finde ich, ist man gezwungen, sich den Grautönen dieser Debatte zu stellen. Dann jedenfalls, wenn man sich ernsthaft und offen in die Diskussion miteinbringen will. Da bewegt man sich als Mann schnell einmal auf einem Minenfeld.
 
Würden Sie sich als Feminist bezeichnen?
Ich kann mich gut als Feminist bezeichnen, ja, aber Adjektive wie «profeministisch» oder «emanzipatorisch» würden wohl eher auf mich zutreffen. Allerdings fängt mit solchen Begriffen die Diskussion auch erst an. «Feminismus» ist ja kein trennscharfer Begriff. Und Männer, die sich als Feministen bezeichnen, machen es sich eben in aller Regel zu einfach, gehen der tieferen Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen aus dem Weg. Feminist zu sein reicht mir darum nicht. Ich will mich mit der persönlichen und gesellschaftlichen Bedeutung von Mann-Sein auseinandersetzen, männliche Identitäten und Perspektiven einbringen. Da fühle ich mich durch den Begriff «Feminismus» zu wenig abgeholt.
 
Wie wollen Sie in Ihrer neuen Leitungsposition die Organisation männer.ch – und somit die Gleichstellungsdiskussion in der Schweiz – mitprägen?
Vaterschaftsurlaub und Elternzeit sind jetzt schon Schwerpunkte unserer Lobbyarbeit – und das werden sie so noch lange bleiben. Weitere Schwerpunkte sind noch offen. «Geschlechtergerechte Wehrplicht» fände ich aber beispielsweise ein spannendes Thema. Und auch in die Sexismus-Debatte – zusammen mit einem offeneren Umgang mit Sexualität – möchten wir uns noch vermehrt einbringen.
 
Wie ist Ihre Position bezüglich Wehrpflicht? Abschaffen?
Als Organisation legen wir da derzeit unsere Position fest, persönlich aber geht mir das Abschaffen der Wehrplicht zu weit, ich bin da zu realpolitisch eingestellt. Viel eher bin ich dafür, auch Frauen in die Pflicht zu nehmen. Mir schwebt eine allgemeine Dienstpflicht vor. Jede Frau und jeder Mann soll frei wählen können, ob er oder sie sich im Zivildienst, Katastrophenschutz oder in der Armee beteiligt, beteiligen an der Dienstpflicht aber sollen sich alle. Der erste Schritt wird wohl einfach eine gleiche Wehrpflicht für alle Geschlechter sein. Denn bei der Wehrpflicht geht es nicht einfach um eine gerechte Verteilung der Lasten, sondern um wichtige Themen wie Diversity, Männlichkeitskulte, sexuelle Gewalt und Geschlechterrollen.
 
Und bezüglich «Sexismus»: Wie denken Sie da als Mann darüber? Wie wollen Sie in diese emotionale Debatte eingreifen?
Ich habe für männer.ch beim Schweizer Aufschrei mitgewirkt. In erster Linie finde ich es wichtig, sich als Mann mit dem Anliegen und mit den Frauen zu solidarisieren. Allerdings darf damit die Diskussion auch nicht aufhören. Mit banalen Forderungen wie «Männer benehmt Euch!» ist das Thema längst nicht gelöst. Die meisten Männer verhalten sich ja auch korrekt. Und viele Männer sind zudem verunsichert, wissen nicht, was ist noch OK, was nicht. Ich erlebe jedenfalls oft eher fehlendes Einfühlungsvermögen als böse Absicht. Viele Männer verstehen schlicht nicht, wie es ist, als Frau unterwegs zu sein. Wird aber ein heterosexueller Mann einmal von einem homosexuellen Mann angemacht, erlebt er das oft als sehr negativ. Er fühlt sich bedrängt. Um die nötige Achtsamkeit im Spiel der Geschlechter zu erlangen, glaube ich also, müssen wir erst das Thema «Sexualität» enttabuisieren, entkrampfen. Es ist eine Illusion zu glauben, Sexismus könne beseitigt werden, ohne dass wir über Sex offen reden. Täter zu bekämpfen alleine, reicht also längst nicht, es geht um Denkmuster. Und das ist für einen Mann eine gefährliche Aussage: Schnell ertönt wir den Vorwurf, wir würden relativieren, wenn wir auf relevante Teilaspekte und auf Zwischentöne hinweisen. Aber immer einen langen «Disclaimer» zu posten, in dem wir betonen, dass Sexismus ein Problem ist, Männer häufiger sexuelle Gewalt ausüben, wir das bekämpfen, ein Nein ein Nein ist und so weiter, kann auch nicht die Lösung sein.
 
Frauen- wie Männerorganisationen scheinen Gleichstellungsthemen zunehmend ganzheitlich betrachten zu wollen, die Positionen scheinen sich immer mehr anzugleichen. Macht nicht eine vermehrte Zusammenarbeit Sinn?
Ja, das macht auf jeden Fall Sinn. Bei der Vaterschaftsurlaubsinitiative sind «Alliance F», der Bund der Frauenorganisationen, wie auch «männer.ch» im Initiativkomitee. Und wir suchen weitere Formen der Zusammenarbeit, klar. Wir arbeiten jetzt schon in verschiedenen Themen mit unterschiedlichen Partnern zusammen. Wir gehen verschiedene Allianzen ein, um unsere Ziele zu erreichen.
 
Würde eine Gleichstellungsorganisation heute nicht mehr Sinn machen als eine Geschlechterorganisation?
Ich denke, eine Männerorganisation macht durchaus noch Sinn. Die Männer können in Gleichstellungsfragen mit den Frauen häufig noch nicht auf Augenhöhe mitreden. Das aus verschiedenen Gründen: Die Männeremanzipationsbewegung ist noch viel jünger. Auf Frauenseite bestehen zum Teil noch viele Vorbehalte und Männer werden eher als unmotivierte Befehlsempfänger gesehen. Und es braucht eine Organisation, die männliche Befindlichkeiten und Herausforderungen gezielt anspricht. Für uns als Geschlechterorganisation gibt es noch viel zu tun. Viele Männer habe heute ernsthaft das Gefühl, Gleichstellung sei schon gegeben. Das aber ist bei weitem nicht der Fall. Diese Männer versuchen wir in die Gleichstellungsdebatte zu integrieren. Wir wollen ihre Anliegen und Potenziale ernst nehmen und nutzen. Wir sind so gleichzeitig Vertreter der progressiven Gleichstellungsperspektive und auch Trainer der Zurückgebliebenen.
 
Klingt wie ein schwieriger Spagat.
Ich bin überzeugt davon, dass diese Vermittlertätigkeit Sinn macht und den Gleichstellungsprozess vorantreibt. Ich glaube allerdings auch, dass es uns in der Vergangenheit nicht immer gelungen ist, unsere Positionen klar zu kommunizieren, gerade weil wir uns bewusst in einem weiten Spannungsbogen befinden.
 
Männer.ch steht für eine dreifache Anwaltschaft: Sie steht ein für Geschlechtergerechtigkeit, will Frauenrechte fördern – aber auch die Interessen der Männer in den Diskurs miteinbringen. Würde eine klare Priorisierung bei diesen Aufgaben nicht auch dabei helfen, die Organisation noch fassbarer zu machen?
Geschlechtergerechtigkeit ist meist Ausgangslage – und Zielpunkt – der Diskussion. Auf dieser Basis suchen wir Lösungen, die sowohl die Beziehungsebene als auch die Anliegen von Männern und von Frauen beinhalten. Geschlechtergerechtigkeit ist nur möglich, wenn alle drei Aspekte berücksichtigt sind. Dass wir alle drei Dimensionen zu berücksichtigen versuchen, macht uns zukunftsfähig – auch wenn es uns nicht immer gelingt, unsere differenzierten Positionen klar zu kommunizieren. Aber das wird mein Schwerpunkt sein, das zu verbessern. Im komplexen und breiten Feld, in dem wir uns bewegen, ist das allerdings auch ein hoher Anspruch.


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