Der Zündholzsammler
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42 Jahren im selben Betrieb, 25 Jahre bei der Betriebsfeuerwehr und seit 35 Jahren spielt er wöchentlich Tischtennis: Der passionierte Sammler Ernst Glanzmann lässt sich Zeit. »
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Text von Samuel Steiner, Bild von Luca Bricciotti
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Ernst Glanzmann sammelt Zündhölzer. Wobei ihn die Hölzchen eigentlich weniger interessieren, der Sammeltrieb konzentriert sich auf die Zündholzschachteln und –briefchen. Vor allem bei den Briefchen ist die Variation enorm. Kein Coiffeursalon, kein Restaurant, keine Autogarage, die nicht schon mal ihre eigenen Zündholzbriefchen zu Werbezwecken bereitgehalten hätten. Rund zweihundert Fabriken haben einst in der Schweiz Zündhölzer hergestellt und verpackt. Heute gibt es keine mehr davon. Dafür steht in Schönenwerd zwischen Olten und Aarau das Schweizerische Zündholzmuseum. Es ist das einzige in der Schweiz, der Prototyp steht in Schweden. Und Ernst hilft mit, es zu betreiben. „In den Neunzigerjahren starb einer von unseren Sammlerkollegen und vermachte einen Teil seines Vermögens an unsere Gemeinschaft der Schweizer Zündholzsammler“, erinnert sich der heute 69-Jährige. Ernst und seine Kollegen sollen mit dem Geld unter anderem ein Museum gründen. Sie hätten zwar keine Ahnung vom Museumsbetrieb gehabt, seien aber da schon passionierte Zündholzsammler gewesen. Nach intensiver Suche nach einem geeigneten Gebäude werden Ernst und drei Kollegen in Schönenwerd fündig, wo das ehemalige Mineralien- und Meteoritenmuseum leer steht. Gegründet wurde es einst von Eduard Bally Prior, dem ältesten Sohn des Gründers der legendären Schuhfabrik und begeisterten Mineraliensammler. Neben der Zündholz-Dauerausstellung wird heute ein Raum im jährlichen Turnus von einem Gastsammler bespielt. „Nach Weckern und Bier-Zubehör wird aktuell eine Sparkässeli-Sammlung ausgestellt“, erklärt Ernst. Ernst, der sich selber „Spinner“ nennt, wächst im aargauischen Safenwil auf. In der Pfadi heisst er „Brom“, wegen seiner Faszination für chemische Stoffe und Vorgänge. Später dann geht er konsequenterweise in die Lehre als Laborant beim Pharmaunternehmen Siegfried im nahen Zofingen. Nach einigen Wanderjahren tritt Ernst im Jahr 1971 eine Stelle in der Forschungsabteilung der Schweizerischen Sprengstofffabrik in Dottikon an. Zwei Jahre vorher explodiert dort eine grosse Menge TNT, 18 Menschen sterben, 1300 Gebäude in den umliegenden Dörfern werden beschädigt. Ernst tritt seine Stelle trotzdem an. Und bleibt dort, fast sein ganzes Arbeitsleben lang. Christoph Blocher kommt, Ernst bleibt.Ernst bleibt, als Christoph Blocher mit seiner Ems-Chemie im Jahr 1987 die Fabrik übernimmt. Ernst bleibt, als Markus Blocher im Jahr 2005 die „Dottikon Exclusive Synthesis“ vom Konzern ablöst. Erst nach 42 Jahren im Betrieb und 49 Berufsjahren als Laborant lässt er sich im Jahr 2013 pensionieren. „Seither habe ich mehr Zeit für das Zündholzwesen“, sagt Ernst. Er vermisst die Kolleginnen und Kollegen – und die Chemie. Als kantonaler Chemiefachberater der Feuerwehr ist er noch tätig. Wenn er Medikamente nehmen muss, zeichnet er gerne die Strukturformel des Wirkstoffs auf. Die Arbeitszeiten und durch den Arbeitsalltag eingeschränkte Freiheit vermisst er nicht.
Sein Vater war Gründer und Präsident des Briefmarkensammlervereins Suhrental. Und auch Ernst sammelte erst Briefmarken, dann alles, was sich sammeln liess. Freunde scherzten, Ernst beginne mit dem Sammeln, sobald er mehr als zwei Stück von einem Gegenstand besitze. Natürlich stimmte die Behauptung nicht, allzu weit war die Wahrheit aber nicht zu suchen. Zündhölzer pflegte Ernst eher für seinen ebenfalls sammelbegeisterten Bruder zu sammeln, bis ihm ein Arbeitskollege eine ganze Schachtel voll schenkte. Von diesem Moment an war Ernst ein Zündholzsammler. Eine Erklärung für seinen Sammeltrieb kann er nicht wirklich bieten. Man müsse über das „Sammel-Gen“ verfügen. Fest steht, dass Sammeln eine ziemlich männliche Beschäftigung ist. Im Zündholzclub ist nur eine Frau Mitglied, die jedoch nicht sammelt, sondern Zündholzschachteln dekoriert. Die werden dann im Museumsshop verkauft. Ernst ist froh, mit seiner Frau eine „verständnisvolle Nichtsammlerin“ fürs Leben gefunden zu haben. „Verstehen kann sie den Sammeltrieb nicht, aber akzeptieren“, sagt Ernst über seine Frau. Immerhin hilft sie im Museum mit. Ernst pflegt neben dem musealen Betrieb auch noch eine beachtliche private Zündholzsammlung zu Hause. Zündhölzer sind nicht die einzige Leidenschaft von Ernst Glanzmann. Seit 35 Jahren spielt er Tischtennis beim TTC Wohlen. „Ich gehe wöchentlich ins Training.“ Ernst spielt vor allem Tischtennis, weil ihm Geschwindigkeit und Technik gefallen. Und weil er mit seiner schlanken Postur prädestiniert ist für das schnelle Spiel. Man kann sich Ernst schwer beim Kugelstossen oder im Sägemehlring vorstellen. Und neben Zündhölzern begeistert ihn auch die andere Seite des Feuers: „25 Jahren lang war ich Offizier in der Betriebsfeuer- und -Chemiewehr meines Arbeitgebers“, sagt Ernst. Sowohl seine Feuerwehrkollegen wie auch die Herren von der Solothurnischen Gebäudeversicherung konnte er mit praktischen Versuchen davon überzeugen, dass ein Haufen Zündhölzer schlechter brennt, als man meinen könnte. Das Schweizerische Zündholzmuseum in Schönenwerd SO ist jeweils am 1. und 3. Sonntag des Monats von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. www.zuendholzmuseum.ch Samuel Steiner ist ERNST-Redaktor, Chemielaborant, Soziologe und Radiomacher. Der Oltner trifft sich das ganze Jahr über mit Männern mit Vornamen «Ernst» – und spricht mit ihnen über ihr Leben. Bei Ernst Glanzmann durfte er im Jahr 2006 ein vierwöchiges Praktikum absolvieren. |