«Es ist ein Knochenjob» |
Arno Kerst ist Ernst-Abonnent und Präsident von Syna. Wieso die Allbranchengewerkschaft vier Wochen bezahlten Vaterschaftsurlaub für alle fordert – und wieso er sich auch ganz persönlich mit vollem Engagement dafür einsetzt, erzählt er im «Interview mit dem Leser». »
|
Interview: Ivo Knil
|
Meinungen und Debatten»
|
Als Präsident der Gewerkschaft Syna engagieren Sie sich für die Vaterschaftsinitiative. Wieso brauchen Väter überhaupt einen Vaterschaftsurlaub?
Der Vaterschaftsurlaub tut gut und ist notwendig. Das weiss ich aus persönlicher Erfahrung. Dass wir uns als zweitgrösste Allbranchengewerkschaft für den Vaterschaftsurlaub einsetzen, hat gute Gründe: Die Balance zwischen Beruf und Freizeit beziehungsweise zwischen persönlichen Engagements und Beruf ist für Syna längst ein Kernthema. Unsere Mitglieder empfinden es zunehmend als schwierig, dass die Flexibilisierung der Arbeitswelt immer einseitiger nach den Bedürfnissen der Arbeitgeber ausgerichtet ist. Erst recht zum Problem wird der Clinch zwischen Arbeit und Leben, wenn Kinder zur Welt kommen. Darum also nun diese Initiative. Aber wie geht es mit der Unterschriftensammlung voran? Unser Ziel sind 45 000 Unterschriften. Das ist unser Anteil an den insgesamt 120 000 Unterschriften, die wir zusammen mit anderen Gewerkschaften, Verbänden und Organisationen wie männer.ch, alliance f und pro Juventute zusammenbekommen müssen. Und, ja: Es läuft gut. Verglichen mit anderen Unterschriftensammlungen geht diese sehr gut voran. Wir schaffen pro Stunde und Mann oder Frau die üblichen zehn bis zwölf Unterschriften recht leicht. Das bedeutet aber trotzdem: Wir müssen 4000 Stunden investieren, um unser Ziel zu erreichen. Das ist Knochenarbeit. Wie reagieren die Leute auf der Strasse? Drei von vier angesprochenen Passantinnen und Passanten unterzeichnen. Das ist ein sehr guter Wert. Die Reaktionen sind fast immer positiv. Männer, Frauen, Alte, Junge – alle sind spontan dafür, dass etwas geht. Wie ist eigentlich die Diskussion in der Gewerkschaft zu dieser Initiative? Einen Vaterschaftsurlaub fordern wir bei allen Gesamtarbeitsvertrags-Verhandlungen. Dabei stossen wir aber oft auf wenig Gehör. Für immer mehr Männer ist das Vatersein ein wichtiges Thema – und für einige ein Grund, sich nach einer Stelle umzusehen, wo sie ihr Vatersein etwa durch Teilzeit-Arbeit besser leben können. Als wir das Projekt lancierten, war die Zustimmung sehr gross, denn der Vaterschaftsurlaub passt in unser Ziel, Arbeit und Leben in Balance zu bringen. Es gibt Stimmen, die vier Wochen für viel zu wenig halten – wie sehen Sie das? Wir sind in der Schweiz. Das heisst: Wir sind weit hinter den anderen Ländern zurück. Wir haben keine Regierung, die ein Jahr Elternzeit von oben herab diktiert – also müssen wir das Machbare ins Auge fassen. Vier Wochen sind machbar und auch finanzierbar. Und es ist auch eine Frage der Gerechtigkeit: Wer bei Mobilitiy, Lidl oder einem fortschrittlichen Kanton arbeitet, bekommt zwei, drei oder sogar vier Wochen Vaterschaftsurlaub bezahlt. Die anderen, die bei KMUs und knausrigen Kantonen angestellt sind, müssen sich mit einem Tag begnügen. Das ist nicht fair. Ein via Erwerbsersatzordnung (EO) finanzierter Vaterschaftsurlaub gibt auch KMUs die Möglichkeit, etwas für die Väter zu tun. Unser Ziel: Wir wollen endlich für alle einen Vaterschaftsurlaub in der Schweiz. Auf der Kampagnenseite «www.papizeit.ch» findet sich ein Foto von Ihnen und Ihrem Sohn beim Bier: Das fällt aus dem Rahmen. Was verbinden Sie mit diesem Foto? Ich konnte vor 22 Jahren schon Teilzeit arbeiten – und profitiere bis heute davon. Ich war von Beginn an ein präsenter Vater und konnte die Beziehung zu meinem Sohn auch dann noch weiterführen, als sich seine Mutter und ich trennten. Bis heute pflegen mein Sohn Merlin und ich ein gutes und entspanntes Verhältnis. Wir trinken nicht nur ab und zu ein Bier, sondern gehen auch an Konzerte oder zusammen skifahren. Mein Sohn kommt regelmässig zum Essen und war auch freudig dabei, als ich vor einiger Zeit heiratete. Sie sind schon mit 25 Jahren Vater geworden. Ist das nicht sehr jung? Damals kam es mir nicht jung vor, nein. Wir machten es und es war gut so. Wenn man jung ist, kann man einige schlaflose Nächte gut wegstecken und vieles geht einfach, ohne dass man zu lange überlegt. Ich finde es spannend, wie unterschiedlich Lebensläufe sein können – eben erst ist ein Freund aus der Gymnasialzeit Vater geworden. Und es ist natürlich auch toll, heute, mit nicht ganz fünfzig Jahren, noch schön viel Lebenszeit vor mir zu haben – und mich jetzt mit voller Energie in meinem Job einzubringen. Im «Interview mit dem Leser» sagen unsere Leser, wo sie ernst machen. Engagieren auch Sie sich für ein gesellschaftliches Thema? Dann melden Sie sich bei redaktion@ernstmagazin.ch – und stellen Sie ihr Projekt vor. |