Ernst - Magazin fuer Gesellschaft, Sinn und Gender
  • Home
  • Newsletter
  • Archiv
  • Herausgeber
    • Über uns
    • Kontakt und Impressum
  • Home
  • Newsletter
  • Archiv
  • Herausgeber
    • Über uns
    • Kontakt und Impressum
Search by typing & pressing enter

YOUR CART

Bild

«einmal alles platt machen können»

Polizist und Familienvater Andreas Urech wagt sich an sein bisher grösstes Projekt seines Lebens. Die Geschichte des ersten «Monster» der Schweiz. »
Text von Adrian Soller, Bilder von Luca Bricciotti

Bild

​Es war ihm damals schon klar. «Klick» habe es bei ihm im Kopf gemacht, schon während seiner aller ersten Fahrt, schon nach wenigen Sekunden. Ja, damals schon, in Neuseeland, als er, wie gesagt, zum wirklich allerersten Mal am Steuer dieses «Monsters», V8-Motor, 800 PS, fünf Tonnen, sass, habe er sich ausgemalt, was er anders machen würde, wie er das in der Schweiz anbieten würde. Die Piste müsste abwechslungsreicher sein und der Fahrersitz in einem besseren Zustand und die Scheiben müssten sauberer sein (zu Beginn der Fahrt wenigstens) und die Sicherheitsvorschriften müssten eingehalten werden und die Instruktionen unmissverständlich sein und der Overall, naja, der Overall, der war eigentlich ganz ok. «Doch alles in allem», schoss es Andreas Urech da bereits durch den Kopf, «ginge das in der Schweiz so nicht.» Die neuseeländischen Betreiber waren nette Typen. Wirklich. So richtig «easy-peasy» Jungs, so richtige «Hillbillies». Immerhin hatten sie auf der Piste hinter ihrer Farm auch einen kleinen Hügel, wo man über Schrottautos fahren konnte. Doch alles war verlottert, die Piste und das vierzigjährige Fahrzeug in miserablem Zustand. Nicht nur deswegen nahm seine Frau Susanne als Zuschauerin abseits der Piste an, dass sich Andreas bei seiner ersten Fahrt langweile.

«In den Filmen sieht es halt schon spektakulärer aus», erklärt der heute 42-Jährige am Wohnzimmertisch rückblickend, beugt sich zu Gian, zwei Jahre alt, vor und fragt ihn, ob er denn wirklich schon fertig sei mit essen. Es ist Mittwoch. Papitag. Gian nickt zögerlich und Andrina, seine Älteste, vier Jahre, will auch keine Cornflakes mehr. «Zwingen kann man sie ja nicht», sagt Andreas, lacht, zuckt mit den Schultern und erlaubt seinen Kindern vom Tisch aufzustehen. «Wo waren wir?» Es habe ihn nicht gelangweilt, nein im Gegenteil, erzählt er dann weiter. «High» sei er gewesen, auch wenn er damals am Steuer nicht mehr als 25 Kilometer pro Stunde fahren konnte, auch wenn grosse Sprünge damals nicht drin lagen. Andreas ist weder Autofan noch Mechaniker. Andreas Urech fährt nicht einmal gerne Auto. Doch dieses Rütteln und Schütteln, das Geräusch des Motors und die Kraft des Fahrzeuges liessen ihn damals wieder einmal so richtig lebendig fühlen. Schon neben diesen gigantischen Rädern, 1.67 auf 1.10 Meter, zu stehen, war ein unglaubliches Gefühl. Und dann durfte er auch noch ans Steuer, «you drive it» hatte es im Werbefilm an der Rezeption der Campinganlage zuvor geheissen. «Ich durfte das ‘Monster’ kontrollieren», erinnert er sich Jahre später am Wohnzimmertisch in seinem Einfamilienhaus in Seengen zurück.

«Für einmal war ich der Chef, für einmal durfte ich alles platt machen.» Als Polizist müsse er sonst immer schauen, dass die Normen eingehalten werden. Nun durfte er mal die Normen brechen, nun durfte er mal aus dem Rahmen fallen. Sein Beruf habe sich verändert, erzählt er dann weiter. Die Stimme wird etwas farbloser. Dankbarkeit, nein, das haben sie noch nie viel erhalten, das sei immer schon so gewesen, aber diese Aggressivität – in diesem Ausmass sei sie neu. «Wir sind auch nur Menschen», sagt er dann, während seine Hände seine Ellenbogen umfassen, als müsse er sich etwas sammeln. Dann spricht er noch etwas weiter von sich und seinen Berufskolleginnen und -kollegen, von seiner Zeit bei der Sondereinheit, Mord, Vergewaltigung, Missbrauch. Er habe der «Nationalliga der Polizei» angehört.
​
Andrina nimmt ein Spielzeugtöff aus der Autokiste und stellt ihn auf den Tisch. Ein Polizeitöff. Die Sirene blinkt. Papa lacht, bedankt sich, erzählt dann aber im ernsten Ton weiter: «Jeder brennt irgendwann mal aus.» Das sei klar. Ewig mache das niemand. Immer mehr seiner Kollegen und Kolleginnen kämen an ihre Grenzen, immer mehr seien frustriert. Vielleicht auch deshalb konnte Susanne ihn damals so gut verstehen. Spätestens jedenfalls als Andreas die ganze Verlobungsreise über immer wieder von dieser einen Fahrt erzählte, spätestens als Andreas zu googeln begann, spätestens da wusste Susanne wohl, dass nichts mehr sein wird, wie es war. Ein eigenes Business aufziehen. Mit einem Monstertruck. Zusammen mit Susanne. Sein Traum. Aber eben vielleicht nur ein Traum. «Wie ein Junge, der davon träumt, Astronaut zu werden: unerreichbar», erinnert sich Andreas heute an die Anfänge zurück. Der Bau eines Monstertrucks kostet mehrere hunderttausend Franken. Die Versicherungen. Das Gelände. Das Verschiffen. Doch Andreas glaubt an seinen Traum, schiebt ihn nicht zur Seite, wie viele andere das tun würden. Und auch Susanne wagt zu träumen. Die Idee vom gemeinsamen Projekt schien auch ihr zu gefallen. Es begannen Jahre des Auf-und-abs.

Bild

Nach der Rückkehr in die Schweiz fing Andreas an, jedes Detail minutiös zu planen. «Ich habe damals ein Handbuch verfasst, wo ich alles niederschrieb», erinnert er sich. Seine Freunde haben ihn ausgelacht. «Bubenträume» nannten sie es, glaubten nicht an die Umsetzung seiner Pläne. So richtig ernst nahmen ihn nur Susanne und ja, wahrscheinlich, wahrscheinlich auch seine Eltern. Auch sie wissen von Andreas’ starkem Durchsetzungswille. Auch sie kennen seine Versessenheit. «Alleine drei Jahre benötigten wir, bis wir das richtige Gelände gefunden hatten», erzählt er am Tisch. Doch bevor sie den Vertrag fürs Gelände unterschrieben hätten, hätte der Besitzer zwischenzeitlich wieder abgesagt. Ein erster Stressmoment. Das Monster war schon im Bau. Dann geht es doch. Dann wieder nicht. Und dann, dann geht es schliesslich doch. Durchatmen. «Never give up!» Der nächste Schock lässt aber nicht lange auf sich warten: Der Bau wird noch teurer als geplant. Als ob die Hypothek des Hauses nicht schon genug auf der jungen Familie lasten würde. Schlaflose Nächte. GmbH gründen. Susanne wird schwanger. Ist das Monster einmal gebaut, wollen sie es stundenweise vermieten, «you drive it» eben auch in der Schweiz, damit Geld verdienen, so offene Rechnungen bezahlen. Andreas und Susanne einigen sich auf den Look des Monsters. Ein amerikanisches Polizeiauto soll es sein.

Während Andrina bunte Plastikteile eines Steckmosaiks auf dem Stubenboden ausgiesst, stellt Gian ein Monstertruck-Spielzeugauto auf den Tisch. Andreas nickt ihm zu. «Die erste Fahrt in der Schweiz mit dem echten Monster war dann aber kein Genuss», erzählt er weiter. Die Verantwortung war gross. Die Qualität stimmte nicht. Es musste nachgebessert werden. Schweissen. Schrauben. Hämmern. Die Ersatzteile sind teuer. Doch dann findet sich ein Sponsor. «Never give up!» Heute ist das Interesse am ersten US-Monstertruck in der Schweiz mittlerweile recht gross. Freunde, Bekannte aber auch Firmen- und Medienvertreter: Ab und an sitzt jemand im Wohnzimmer, um mit ihm über das Monster zu sprechen. «Gleich habe ich ein Treffen mit dem Sponsor», erzählt Andreas, blickt kurz auf die Uhr. Die Ersatzteillieferanten stellen die benötigten Teile gratis zu Verfügung. Doch sie wollen auch etwas dafür, ein Logo auf dem Truck haben sie schon, Bandenwerbung werden sie wohl bald noch zusätzlich verlangen. Es ist halt ein Geschäft. Ein Geschäft, bei dem Andreas und Susanne nichts verdienen. Die Vermietung deckt die Kosten nur knapp.
​
Ja. Gelohnt habe es sich auf jeden Fall. Trotz allem. «Wenn ein Kunde nach der Fahrt lächelt, macht mich das glücklich», erzählt Andreas. Es sei schön, diese Wertschätzung, diese Dankbarkeit für seine Arbeit mit dem «Monster» zu spüren. Es sei halt schon ein Herzblut-Projekt, ja. So viel Zeit nehme es aber auch nicht mehr in Anspruch. Zum Glück. Zum Ausbildner an der Polizeischule habe er aus anderen Gründen gewechselt. Weniger an der Front wollte er sein, weniger Schicht arbeiten. «Die Familie ist das Zentrum meines Lebens», sagt er. Es klingelt. Andreas steht auf und lässt den Marketingleiter und den Produktmanager der Autoersatzteil-Bude eintreten. Sie bringen die Kälte von draussen in die warme Stube herein. Visibilität. Logoplatzierung. Vertragsverhandlungen. Die Hoffnung, das Andreas einmal von seinem Monster leben kann, ist längst geschrumpft. Aber vielleicht, wer weiss, vielleicht passiert ja wirklich doch noch ein Wunder. «Never ever give up!»


 ernst.ruht@ernstmagazin.com