Mensch, die Beatles, das muss doch auch auf Deutsch gehen: Eine Begegnung mit dem Berliner Sänger, Musiker, Filmemacher, Schauspieler – und grossen Beatlesfan Klaus Beyer. »
von Frank Keil
Klaus Beyer, der nicht sehr groß und ein wenig korpulent ist, hat eine überraschend helle Stimme. Er sagt gerne: Ah ja. Oder: genau. Oder: richtig. Bestellt hat er sich einen Cappucino. Wir sitzen in der "Ankerklause", Kottbusser Damm 104, einem Lokal direkt am Maybachufer, hier verläuft in etwa die Grenze zwischen Berlin-Kreuzberg und Berlin-Neukölln. Wir sitzen im Raucherbereich an schlichten Holztischen, die leicht wackeln, aber es wird nicht geraucht. Draußen hetzen die Menschen über die Brücke über den Landwehrkanal, weil es so ungemütlich und nasskalt ist und es noch dazu dämmert. Wenn Sie Klaus Beyer interviewen, hatte Frank Behnke, sein Manager und Freund, am Telefon gesagt, bitte stellen Sie offene Fragen, so dass Sie miteinander ins Gespräch kommen. Wenn Sie Fragen stellen, wo man schnell Ja oder Nein sagt, dann wird Klaus Ja oder Nein sagen, und das wird Sie nicht glücklich machen. Aber das wissen Sie wahrscheinlich. Und er werde dabei sein bei dem Gespräch, das machen wir immer so, sagt er. Ich sitze dann einfach da, helfe, wenn ich helfen kann, besonders wenn es um Jahreszahlen geht und wann was war und sowas. Also angefangen habe das so, sagt Klaus Beyer: Ich habe im Radio die Sendung 'Schlager der Woche' gehört, hier in Berlin, beim Sender RIAS, pro Band gab es immer einen Song, aber von den Beatles haben sie zwei Songs gespielt, da war ich so begeistert, da bin ich Beatlesfan geworden. Wann war das? 1969 war das. Die beiden Songs sind Oh Darling und Here comes the sun. Klaus Beyer singt die Lieder auf Englisch nach, sie sind ja in Englisch. Aber das reicht ihm nicht. Mensch, das muss doch auch auf Deutsch gehen, sagt er sich, das habe ich dann probiert, Wort für Wort und nach ein paar Minuten ist der erste Song fertig gewesen. Und das Gute ist, dass seine Mutter, die kein Englisch kann, aber diese Beatles-Lieder sehr mag, nun diese Beatles-Songs versteht. Hier kommt die Sonne und Oh Darling/ bitte glaub' mir/ ich hab nichts Böses getan. Später kommt Das gelbe Unterseeboot dazu. Er gibt den Liedern seine Stimme, noch fehlt die Musik, ich hatte noch kein Tonbandgerät, erst später habe ich dann alles aufgenommen, sagt Klaus Beyer. Er sagt: Es gab eine Band, die nannte sich Beatles Revival Band, die haben die Songs auch auf Deutsch gesungen. Aber nicht alles! Und ich wollte mehr als nur ein paar Songs. Und dann habe ich festgestellt, es ging gut, also habe ich mehr und mehr Lieder gemacht, immer mehr. Du solltest jetzt Klaus mal fragen, wie genau er die Lieder aufgenommen hat, wenn ich mal unterbrechen darf, sagt sein Freund und Manager Frank Behnke. So: Ich habe die Originalmusik der Beatles genommen und die Teile rausgenommen, wo keiner drauf singt. Diese Teile, wo keiner drauf ist, habe ich dann vervielfältigt, habe sie dazwischen gesetzt, ich habe meine Stimme drauf gelegt und dann war das Stück fertig. Da gab es immer so kleine Hopser, heute würde man das Sampling nennen, aber dann mit Klausens Stimme war das natürlich – toll! Sagenhaft gut. Von einem Tonband auf ein anderes überspielt und dann wieder zurück, so etwa? Ja, so. Als ich das erste Mal zu Klaus kam, dachte ich, sagt Frank Behnke: Wie viele Tonbandgeräte hat er denn da stehen? Zwei sehr professionelle, von der Marke TEAC, wenn ich das erinnere, und noch zwei andere. Ich selbst habe mit einem ollen Philips angefangen. Kennengelernt haben wir uns ein Jahr nach seinem ersten Auftritt, 1986. Ich war davor das Jahr in den USA, ich studierte Film. Ich war bei David Lynch, hab bei ihm meine Tonausbildung gemacht. Während Klaus Beyer seinen ersten Auftritt hatte. Das war im TRASH. Einem Club in Berlin-Kreuzberg.
Und wie war der Auftritt? Da habe ich nur vier Songs gesungen, da hatte ich noch großes Lampenfieber. Die Nachbarin meiner Mutter, die Gabi Poschmann, hat mich eingeladen, ein paar Songs zu singen. Ich war einverstanden und dann ist es so gekommen. Die hatte mich vorher zuhause in unserem Wohnzimmer gehört. Haben Sie auch getanzt? Nee, getanzt nicht. Ich kann nicht so gut tanzen. Und die Musik? Damals gab es Toncassetten, Audiocassetten. Ich habe erst mal angefangen zu singen, ich habe gezittert, die Leute waren da, ich habe meinen Text gesungen, bei einem Song, ich glaube sogar es war Here comes the sun, habe ich dann so gestottert, da konnte ich kaum ein Wort rauskriegen: Die Sonne kommt, die Sonne kommt, die Sonne kommt, dann konnte ich nicht weiter. Und die Gabi Poschmann kam auf die Bühne: Wenn ihr so weiter macht, hat sie zum Publikum gesagt, dann kommt die Sonne nicht, die Sonne kommt nicht. Dann haben sie mich von der Bühne geholt, da war eben mein Abend zu Ende. Für andere wäre es das gewesen, aber Klaus Beyer denkt nicht daran, es mit dem Auftreten sein zu lassen. Ich habe gedacht: Das müsste doch irgendwie noch besser gehen, mit anderen Songs, mit viel mehr Songs. Und dann hatte ich in anderen Clubs, in mehreren Clubs einen Auftritt, da waren die Leute meistens begeistert. Wie gesagt, wir haben uns ein Jahr später kennengelernt, ich habe Klaus angeboten, Konzerte mit meinen Verbindungen zu gestalten, ich bin selbst auch Musiker, ich hatte lange eine Band. 1987, zum siebten Todestag von John Lennon, habe ich eine Musikcassette mit deinen Songs herausgebracht, nur mit Klaus Beyers eigenen Sachen, die war auch sehr beliebt, weiß'te noch? Heute eine Rarität, die wird hoch gehandelt.
Wann ist für ihn ein Song gelungen, wann ist er gut, will ich wissen. Wenn man den Text gut übersetzen kann und wenn er eine gute Melodie hat, dann ist der Song gut. Wenn es aber immer dasselbe ist, dann ist er langweilig und dann ist er nicht so gut, das ist genau der Unterschied, sagt Klaus Beyer. Und was reizt am Anfang, der Text oder die Melodie? Mal der Text, mal die Melodie. Und manchmal auch Melodie und Text zusammen. Wobei – manchmal lasse ich einen Song erstmal liegen, arbeite erstmal an anderen Songs, die besser gehen, sagt er.
Und tagsüber arbeitete Klaus Beyer. Mein Beruf war ja Kerzenwachszieher, die Musik lief nebenher. Ein echter Handarbeiter, wochentags hat er das Paraffin angerührt und dann die Kerzen gestaltet und abends und am Wochenende saß er vor dem Tonbandgerät. Heute mache ich die Musik aber mit CDs, mit einem CD-Rekorder. Frank Behnke erinnert sich an Aufnahmen, Testaufnahmen, die misslungen sind. Aber nicht aufgrund von deinen Fehlern, sondern: Du hast gesungen, man hört deine Stimme und dann ist da im Hintergrund ein Auto oder ein Bus fährt vorbei, der ist voll in der Aufnahme drinne und dann brichst du ab und man hört dich sagen "Ach, so ein Käse!" Solche technischen Widrigkeiten gab es ja auch. Ich hatte nur ein normales Wohnzimmer, nach vorne zur Straße raus, da habe ich gearbeitet, da habe ich auch gesungen, da sind immer wieder viele Nebengeräusche draufgekommen.
Und dann kommt Klaus Beyer zum Film. Auch diesmal dank der Beatles. Ich habe einen Song gemacht, da habe ich gedacht, das kann man ja nur hören, aber das müsste man doch auch sehen können. Er hat zuhause eine Super-Acht-Kamera, zum Geburtstag geschenkt bekommen, mit der er bisher Dampferfahrten mit der Familie gefilmt hat und Zoobesuche. Und Klaus denn: das müsste doch irgendwie zusammen gehen, dass die Songs auch zu sehen sind. Und er nimmt seine Kamera und probiert es aus. Macht einfach. Entwirft kleine Spielszenen; spielt die, bastelt Bühnebilder und für sich Kostüme, filmt alles. Dann kommt auf der Tonspur die Musik dazu. Die Beatlesmusik von Klaus Beyer. Klaus meinte damals zu mir, erinnert sich Frank Behnke: Ich möchte alle Beatles-Platten machen, also nicht alle Lieder, sondern alle Platten. Wobei die Platten nicht in der Reihenfolge ihres Erscheinens gemacht werden müssten, aber die Lieder, wie sie auf den Platten aufeinander folgen, das schon. Ich hab gesagt: Machen wir erst mal eine Platte – ich dachte, das hält der Klaus nicht durch. Und nun haben wir in vierzehn Jahren jedes Jahr eine Beatles-Platte gemacht. Und das weiße Doppelalbum hat Klaus als Super-8-Film verfilmt, das sind dreissig Songs in neunzig Minuten, eine Riesenproduktion. Frank Behnke sagt: Ich sag immer: Klaus macht länger Beatles als die Beatles selber.
Klaus Beyer schreibt nicht nur die Songs, die Beatlessongs und andere und längst seine eigenen, vertont sie und verfilmt sie. Er macht dazu auch alles andere, das anfällt. Zum Beispiel brauchte Klaus mal eine Frau und er hatte keine. Also ist er selbst die Frau. Kauft sich eine Perücke und setzt die auf. Der Mann lächelt die Frau an – Schnitt – die Frau, die Klaus ist, lächelt zurück – Schnitt, so innovativ hat er das Problem gelöst. Das war für den Song 'Kreuzberger Nächte sind lang' von den Gebrüdern Blattschuss. Da habe ich aus Kreuzberger Nächte einfach Kreuzberger Frauen gemacht – also 'Kreuzberger Frauen sind lang'. Du änderst nur ein Wort und schon denkt man etwas ganz anderes.
Und Klaus hat das alles gemacht, ohne dass ein Konzept dahinter stand. Einfach, weil er Lust und Spaß daran hatte. In meinem Dokumentarfilm über ihn habe ich das Art Brut genannt. Es ist nicht nur Freizeitulk, es geht darum, die Fehler ernst zu nehmen und sie zu lassen; das Unrichtige wertzuschätzen, das kommt bei Klaus auf eine ganz andere Weise auf den Punkt. Und ich bin ein guter Beatleskenner und ich habe mich wirklich gewundert, als ich das erste mal die Texte von Klaus Beyer sah, denn ich konnte sie sofort durchsingen und durchsingen heißt: Die sind immer in Reimen, gereimt ins Deutsche. Und er hat manchmal andere Worterfindungen, damit es in den Reim kommt oder das Wort selber sich reimt. Wenn etwas nicht zu übersetzen geht, dann lasse ich meine Phantasie spielen, dann setze ich eigene Worte drauf, sagt Klaus Beyer.
Als wir uns damals kennenlernten, war ich Kunststudent, sagt Frank Behnke, da denkt man eine Menge nach. Wo fängt die Kunst an und wo die Unterhaltung? Godard war die Nummer eins für mich. Andere Sachen fand ich nicht so doll. Und dann sehe ich Klaus Beyers Filme! Und ich dachte, ehrlich: Ich bin geläutert! Man muss überhaupt nicht studieren, man muss überhaupt nicht wo hingehen. Bei ihm habe ich Sachen gesehen, die waren so pur, die waren so ehrlich in ihrer Gestaltung, da konnte ich drüber lachen, ich hab mich unterhalten, und es war Kunst. Und bald sind die beiden befreundet.
Das ist ja jetzt über dreißig Jahre her. Ja, das ist jetzt über dreißig Jahre her. Klaus Beyer lächelt ganz für sich. Und Klaus ist immer bodenständig geblieben, es ist wie es sein soll: Arbeitersöhne, die gute Rockmusik machen. Und du solltest ihn mal in seinem selbst gebastelten Hauptmann-Pfeffer-Anzug sehen, und wenn man dann noch den Song hört, ist es noch klasser. In allen deutschen Städten ist er aufgetreten, in den Niederlanden, in Belgien, eine Tournee führte ihn durch die Schweiz, öfter war er in Wien zu Gast. Seine Filme liefen auf der Documenta 8, auf Festivals in Seoul, New York und Sao Paulo, er kann auf ein Repertoire von 200 Songs zurückgreifen. Oder als Klaus Beyer in der Berliner Volksbühne auftritt, vor 700 Leuten. 1999. Christoph Schlingensief sieht ihn und hat ihn sofort in seine Theatergruppe aufgenommen, sofort. Zehn Jahre lang tourt er mit Schlingensiefs Truppe durch die Gegend, es geht nach Brasilien, nach Island, nach Afrika, unabhängig von seinen eigenen Produktionen. Mensch toll, Klaus, wo du überall rumgekommen bist! Einmal, als Klaus aus Afrika zurückkommt, erzählt er mir von einer Frau, die er dort kennengelernt hat und dann fragt er so, ob er mir ein Foto von ihr zeigen soll und dann zeigt er ein Foto von Patti Smith. Und ich: PATTI SMITH!!!!!
Oder 2006 in Bayreuth. Schlingensief inszeniert Richard Wagners Parsifal, Klaus Beyer spielt den Schatten von Parsifal, bringt Parzifal den Mantel, reicht die Kerze, wenn Parsifal im Dunklen eine Kerze braucht. Gut, du hast nicht gesungen, sondern dieser berühmte Sänger, ich komme grad nicht auf seinen Namen. Aber alle Auf- und Abgänge, perfekt! Das muss man ja hinkriegen. Und drumherum saß dieses honorige Publikum. Klaus Beyer nickt zufrieden. Und das Lampenfieber? Nur bei Songs, die ich noch nie gesungen habe, habe ich noch Lampenfieber. Hilft dann tief durchatmen? Wahrscheinlich.