«Ein Guetzli in Jeder Kaffeepause»
Ein Vater spricht über Trost - und Optimismus.»
Text: Adrian Soller
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Regula sagte es mir am Spitalbett. Januar 1989. Mein Wadenbein war gebrochen, das Sprunggelenk auch. Beim Fussballspielen am Vortag. Also eigentlich wollten wir Faustball spielen, aber dazu ist es gar nicht mehr gekommen, es geschah vorher, beim Aufwärmen mit dem Fussball eben. Das Gewicht auf dem linken Bein, dann der Zusammenstoss mit Mike. Im Spital war dann rasch klar: Wir müssen operieren. Am Spitalbett also. Kurz vor der Op. Ich muss Dir etwas sagen, Christian. Ich bin schwanger. Nur wenig Schnee draussen. Mein Bein schmerzte.
Ich weiss nicht mehr, was ich sagte. Wir hatten es nicht geplant, das sicher nicht. Ich wohnte noch zuhause. Oben in der umgebauten Putzkammer. Klar hatte ich Zweifel, ob das alles gut kommt, wie auch nicht. Ich hatte Regula erst vor ein paar Monaten kennengelernt. In der Sauna. Guten Abend. Hallo. Ich bin Christian. Ich heisse Regula. Bist du öfters hier? Eine andere Frau hatte mich eben gerade versetzt gehabt. Das Skiwochenende in Österreich war aber schon gebucht. Regula: Ich käme schon mit. Ich war froh, das Wochenende gerettet. Dann so etwas wie Fernbeziehung. Regula wohnte in Glarus, ich bei Winterthur. Im November fuhren wir schliesslich zusammen nach Ägypten. Sonne. Meer. Dort muss es passiert sein. Meine Zweifel konnte ich mit niemandem bereden. Es fiel mir schwer (damals noch mehr als heute), über meine Sorgen und Bedürfnisse zu sprechen. Ich wollte mich wohl nicht unbedingt verletzlich oder bedürftig zeigen. Ich muss stark sein. Das habe ich schon von früh auf mitbekommen. Mutter wie Vater definierten sich vor allem über Arbeit. Wer nichts macht, ist nichts. Vater hatte sich vom Hilfsbriefträger zum Briefträger hochgearbeitet, Mutter arbeitete – neben dem Haushalt – als Abwartin beim Kindergarten. Machen, nicht reden also. Und Sorgen machte man mit sich allein aus. Ich sowieso. Ich war der Mittlere von drei Jungs, gefühlt aber war ich der Älteste. Ich war der Rebell, mein älterer Bruder war oft krank. Ich stark. Er verletzlich. Wir stritten oft. Meine beiden Brüder verbündeten sich dann gegen mich. Als ob das nicht schon genug wäre, verteidigten meine Eltern die Beiden noch. Alle gegen mich. Immer ich war der Böse, immer ich. Als wir die Putzkammer zu einem Zimmer umbauten, zog ich ein. Die beiden Brüder teilten das Zimmer nun unter sich. Ich war zwar froh über den eigenen Raum, ich fühlte mich aber auch etwas abgeschoben. Also, wie gesagt: Ich noch in der umgebauten Putzkammer. Erst wollte ich nicht heiraten. Dann doch. Juli 1989. Lange weisse Tischdecken, gutes Essen. Grundsätzlich ein schöner Tag. Willst Du, Christian, Regula lieben, achten und ehren, bis der Tod euch scheidet? Klar hatte ich Zweifel, ob das alles gut kommt, wie auch nicht. Ich habe gedacht: Was versprichst du jetzt da? Über meine Zweifel habe ich mit niemandem gesprochen, nicht mit meinen Eltern, nicht mit meinen Brüdern, nicht mit meinen Freunden. Dazu sollte es erst Jahre später kommen. Ich schickte mich also rein. Machte, was man von mir erwartete. Und so nahmen Dinge ihren Lauf. Faustball, Einfamilienhaus, Geburt von Moana, Weihnachtsfeste, Paartherapie und wieder Faustball, wieder Weihnachten. 18 Jahre Ehe, 14 Jahre davon unterm selben Dach. Man ist da so drin. Eigentlich führten wir keine Beziehung, Regula und ich. Keine gute jedenfalls. Wir gingen nicht «miteinander in Beziehung», wie man so schön sagt. Wir blieben, so gut es ging, an der Oberfläche. Wir machten die Dinge mit uns selber aus. Begann ich von Problemen auf der Arbeit zu sprechen, landeten wir sehr schnell bei ihren Themen. Sie arbeitete im Fitnesscenter. Ich fühlte mich mit meinen Sorgen allein. Wir stritten oft. Ich argumentierte dann sachlich, Regula emotional. Als ich schliesslich Abteilungsleiter wurde, verschlimmerte sich die Situation. Ich liebte meine beiden Töchter, versuchte, so gut es eben ging, da zu sein. Aber eben: ich war der, der arbeitete, der, der das Geld verdiente. Hat man früher Hausarbeit schlecht geredet, redet man heute Lohnarbeit schlecht. Ich muss mich heute in Diskussionen fast dafür entschuldigen, dass ich für meine Familie arbeitete. Ich meine: Ich bin nicht für mich jeden Tag in die Firma gegangen, ich habe viel aufgegeben, ich habe es für die Familie getan. Ich wollte, dass es meinen Töchtern gut geht. Und neben der Arbeit versuchte ich schon da zu sein. Einmal, als Andrea bei einem Skirennen ein Tor verfehlte, versteckte sie sich im Wald. Ähnlich wie ich hatte sie immer schon sehr hohe Erwartungen an sich selber. Auch sie kann mit Niederlagen nicht so gut umgehen. Ich konnte sie dann beruhigen. Alles ist gut, Andrea, macht doch nichts, Andrea. Komm, lass’ uns nachhause gehen. Zuzuhören versuchte ich, da zu sein und Trost zu spenden, so gut ich das eben konnte. Und ich selber fand meinen Trost damals vor allem in den Dingen. Denn auf der Arbeit nahm der Druck zu. Ich übernahm immer mehr Verantwortung. Ein Guetzli in jeder Kaffeepause. Zehn Kilo legte ich in dieser Zeit zu. Am Abend ein gutes Glas Wein. Auch im Masturbieren fand ich Trost. Dann die Affäre. Sie hiess Ursi. Ich arbeitete mit ihr zusammen. Regula, wir müssen reden. Kurz nachdem ich zum Abteilungsleiter ernannt wurde, war das eben. Es ging nicht mehr. Zu viel Streit, zu viele Tränen. An einem heissen Julitag zog ich zuhause aus. Ich erinnere mich noch genau, wie ich in meiner neuen kleinen Wohnung in den Unterhosen am Bügelbrett stand, mein Hemd bügelte und das Lied aus dem Radio aus voller Kehle mitsang. Freiheit. Endlich. 14 Jahre unter einem Dach. Und eben erst jetzt, jetzt, wo alles aufgebrochen war, begann ich mit dem Reden. Mein älterer Bruder hatte ähnliches erlebt, ihm konnte ich mich anvertrauen, er sollte es verstehen. Und so sprachen wir über unsere Beziehungen zu unseren Frauen, über unsere Beziehung zueinander – und über die umgebaute Putzkammer, die eigentlich ihm zugestanden wäre. Jedes zweite Wochenende kamen meine Töchter zu mir. Andrea sprach nicht mehr mit mir, kein Wort. Andrea, hast du Hunger? Andrea, ich sprech’ mit dir. Andrea, Andrea, sag’ doch was. Ich hatte die beiden Mädchen gern. Mit ihnen hatte es doch nichts zu tun. Ich hatte mein Bestes versucht. Erklären aber konnte ich mich nicht. Über die Trennung konnte ich mit ihnen nicht sprechen. Ich habe erst zehn Jahre später erfahren, wieviel Andrea in dieser Zeit mittragen musste. Sie übernahm zuhause etwas meine Rolle. Regula sagte zu Andrea offenbar, dass sie sich das Leben nehmen wolle. Andrea war damals vierzehn alt. Die Beziehung mit meiner Arbeitskollegin dauerte ein paar Monate nur. Später dann: Elisabeth, dann Jolanda. Gute Jahre. Gute Beziehungen. Sie hielten trotzdem nicht. Ich erwartete von meinen Partnerinnen oft viel, vielleicht zu viel. Ich erwartete – und das hiess auch: ich wartete, ich wartete – und sprach nicht, nicht über meine Bedürfnisse, nicht über meine Wünsche. Und sprach ich doch mal darüber, fühlte ich mich nicht unbedingt ernstgenommen. Thema Sex. Wollte ich Sex, ging es mir nicht um den Orgasmus, nicht nur. Wirklich. Ich wollte einfach auch Nähe, wollte gesehen werden, ja ich wollte vielleicht auch einfach etwas Trost. Psychotherapie, Selbsterfahrungskurse und ein sechswöchiges Training für Sozialkompetenz: Viel ist schon passiert in meinem Leben. Heute kann ich eher sprechen, über meine Wünsche und meine Bedürfnisse. Heute kann ich eher Trost finden. Klar: Auch heute stosse ich manchmal an, auch heute gelingt es mir nicht immer, die Dinge anzusprechen. Doch alles in allem eben kann ich besser reden, besser zuhören, das schon. Immer besser tröste ich, danke fürs Zuhören, Papa, immer besser finde ich auch Trost, danke fürs Zuhören, Andrea. Alles in allem bin ich in meinem Leben angekommen. |