Was bleibt von von #MeToo?
Im Herbst haben sich Millionen von Frauen im Internet und auf der Strasse gegen Sexismus und Übergriffe engagiert. Was hat es gebracht, was nicht – und wohin soll sich die Debatte entwickeln? Wir stellen drei Fragen an drei Experten. »
Interview: Adrian Soller
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Ist Twitter die neue Wunderwaffe gegen Sexismus? Markus Theunert, SIMG: Die neue Wunderwaffe ist Twitter nicht. Denn die MeToo-Kampagne beendet Sexismus ja nicht. Sie macht aber eindrucksvoll sichtbar, wie viele Frauen von sexuellen Übergriffen betroffen sind. Damit werden wir nicht nur sensibilisiert, es verschiebt sich auch eine soziale Norm: Übergriffe werden heutzutage scharf sanktioniert, selbst wenn sie von „mächtigen Männern“ verübt werden. Und Männer sehen sich einem immer grösseren Druck gegenüber, ihr Verhalten zu reflektieren. Das sind für Männer.ch grundsätzlich positive Entwicklungen. Wir dürfen nun einfach nicht vorschnell stehen bleiben. Der ganze Prozess hat erst begonnen. Jessica Zuber, alliance F: Twitter ist keine neue Wunderwaffe gegen Sexismus. Es ist eine Informationsplattform, die hilft, Sexismus überhaupt zu thematisieren und aufzudecken. Twitter dient vor allem dazu, Medienaufmerksamkeit zu generieren und wichtige gesellschaftliche und politische Akteure anzusprechen. Insofern hilft die Kampagne auf Twitter das Thema aufs mediale oder politische Parkett zu bringen – um so eine Wirkung zu erzielen. Ueli Mäder, Soziologe: Nein, Twitter ist keine Wunderwaffe. Twitter hilft aber, Übergriffe aufzudecken. Für Opfer ist es so einfacher, eigene Scham zu überwinden und zu erlebtem Unrecht zu stehen. Mir berichtete heute eine prominente Schweizerin, was ihr widerfahren ist. Aber sie getraut sich nicht, das öffentlich kund zu tun. Ich kenne mehrere solche Fälle. Noch bleibt viel verschwiegen. Da besteht Nachholbedarf. Es ist gut, wenn das Verschwiegene und Vertuschte mutig angesprochen wird. Einfach und klar, ohne Hetzkampagne und ohne Pranger, der die voyeuristische Neugier befriedigt. Wie weiter nach #MeToo? Markus Theunert: Die Gefahr ist, dass die Debatte in einem Angstklima mündet, in dem sich niemand mehr irgendwas traut. Damit das nicht passiert, braucht es mindestens zweierlei: eine vertiefte kritische Selbstbefragung von Männern, wie sie jetzt begonnen hat, ein genaues Hinschauen, wo ich mich selbst übergriffig verhalte. Und es braucht auch den aufbauenden Geschlechterdialog. Wir sehen die Debatte als Chance, die grosse Frage zu stellen: Wie kann und soll das mit der sexuellen Begegnung zwischen Männern und Frauen in einer egalitären Gesellschaft „organisiert“ sein? Welche Spielregeln taugen? Sexuelle Begegnungen leben von der Grenzüberschreitung in dem Sinn, dass wir genau in der Sexualität alle Distanzhaltungen gegenüber einem anderen Menschen fallen lassen. Wie bekommen wir diesen Widerspruch unter einen Hut? Um dieses Gespräch sorgfältig führen zu können, braucht es aber mehr als Social Media. Dafür braucht es geschützte Räume. Jessica Zuber: MeToo ist wichtig, weil es das Tabu-Thema Sexismus in die breite Öffentlichkeit bringt. Es fördert sowohl die Sensibilität des Themas, wie auch die wichtige Erfahrung für Betroffene zu wissen, dass sie nicht alleine sind. Es ist richtig und wichtig, über solche Erfahrungen zu sprechen, auch damit diese in Zukunft nicht mehr stattfinden. In einem nächsten Schritt ist es nun wichtig, konkrete Lösungen anzugehen. Bei alliance F als Dachverband der Frauenorganisationen setzen wir uns mit konkreten Geschäften im Parlament für diese Anliegen ein. So haben wir beispielsweise im vergangenen Jahr die Unterzeichnung der Istanbul-Konvention, eines Rahmenkatalogs für mehr Verantwortung der Kantone gegen häusliche Gewalt, im Parlament vorangetrieben. Mit solchen Vorlagen versuchen wir einerseits mehr Mittel für die Bekämpfung zu sichern und andererseits einen gesetzlichen Rahmen zu etablieren, der Opfer schützt. Ueli Mäder: Wir müssen uns nun noch viel intensiver und umfassender mit Mechanismen der Macht auseinandersetzen, die den Sexismus fördern. Das wäre wohl für die meisten Frauen, Männer und Kinder von Vorteil. Bei der Macht geht es auch um einseitige Abhängigkeiten und hierarchische Wertigkeiten. Sie geben den einen das Gefühl, sich über andere erheben zu dürfen. Vor allem, wenn sie über Geld verfügen. Dabei spielt auch die überhöhte Bedeutung ökonomischer Nützlichkeit mit. Sie trägt dazu bei, den Körper ebenfalls als Ware zu betrachten, was Übergriffe verharmlost oder sogar zu rechtfertigen scheint. Zuhören, Klappe halten und solidarisch sein: Was können Männer tun? Markus Theunert: Sich selbst damit auseinandersetzen. Es ist nicht hilfreich, jetzt mit „Aber wir Männer sind auch Opfer“-Positionen in die Debatte zu treten. Das wird verständlicherweise als Konkurrenz wahrgenommen, als Versuch auch, Bedeutung und Ausmass der Gewalt an Frauen zu relativieren. Der Weg scheint uns ein anderer: Männer müssen die Auseinandersetzung als Männer und unter Männern soweit vorantreiben, dass sie sich nicht mehr ständig in einer persönlichen Abwehr- oder Selbstgeisselungshaltung wiederfinden. Denn Gewalt ist strukturell und unvermeidlich verbunden mit dem patriarchalen Herrschaftssystem. Und mit dieser Einsicht beginnt Emanzipation – im Kleinen wie im Grossen. Jessica Zuber: Sexismus betrifft die ganze Gesellschaft. Sexismus hat damit zu tun, was in einer Gesellschaft als soziale Norm anerkannt wird. Wenn wir Veränderungen im Umgang miteinander erzielen wollen, in unserer Kultur, sind alle gefordert. Frauen und Männer müssen hier im offenen Dialog miteinander stehen. Und Männer müssen sich aktiv und mit klaren Worten distanzieren von sexistischem und missbräuchlichem Verhalten ihrer Kollegen. Und das, indem sie klarmachen, dass sie dies nicht tolerieren. Dabei geht es nicht nur um Solidarität, sondern auch um Respekt den Frauen und sich selber gegenüber. Ueli Mäder: Wir Männer müssen uns an der Debatte beteiligen. Männer sind von unseren gängigen Machtgefügen her vor allem Täter, aber auch Opfer. Wir Männer sind mitverantwortlich für das, was sich gesellschaftlich tut. Unsere Solidarität muss den Opfern gelten. Wir müssen uns auch gegenseitig mehr herausfordern und uns der bornierten Männlichkeit widersetzen, die Konkurrenz forciert und die sich an narzisstischen Helden orientiert. Diese Art von Männlichkeit bemitleidet sich gerne selber. Und da ist eben nun eine andere Sensibilität gefragt. Auch eine Lebendigkeit, die es nicht nötig hat, sich auf Kosten Anderer durchzusetzen. |